08. Oktober 2003 | Frankfurter Allgemeine Zeitung | Filmkritiken, Rezension | The Good Thief

Über den Pinseln von Nizza

Lauter Fälschungen und ein womöglich echter Picasso: Neil Jordans Film THE GOOD THIEF

Wenn Jean-Pierre Melville später über BOB LE FLAMBEUR sprach, konnte er kaum verhehlen, daß er seinen ersten Gangsterfilm aus dem Jahr 1956 für nicht sonderlich gelungen hielt. Vor allem störten ihn die Dialoge, was wohl der Grund dafür war, daß seine späteren Filme weitgehend ohne Worte auskamen. Allerdings war auch BOB schon nicht sonderlich gesprächig, jener Spieler, der ausgerechnet an dem Abend, da seine Komplizen das Casino von Deauville ausrauben, die Bank sprengt.

Melville hatte die Hauptrolle mit Roger Duchesne besetzt, der vor dem Krieg ein Star gewesen war, dann für die Gestapo gearbeitet haben soll, schließlich ins Gangstermilieu abgerutscht und mit vielen Schulden untergetaucht war, ehe der Regisseur im Milieu ein gutes Wort für ihn einlegte. Danach trat Duchesne nur noch ein einziges Mal auf, und das letzte, was Melville von ihm hörte, war, daß er an der Porte de Champerret Autos verkaufte. Die leichenblasse Figur paßte gut in das morgengraue Paris, das Melville mit diesem Film beschwor, zu der Morgendämmerung, die er die Stunde des Wolfs nannte. Melville träumte von einem Remake in Farbe.

Ein knappes halbes Jahrhundert später ist es gedreht worden, von Neil Jordan, der kurioserweise in einem Interview gesagt hat, er verstehe den Sinn von Remakes nicht – in der Malerei nenne man denselben Vorgang nicht ohne Grund Fälschung. Dazu komme, daß er kein Interesse an Filmen habe, die von der detaillierten Planung eines Raubüberfalls lebten: keine allzu guten Voraussetzungen für ein Remake von BOB LE FLAMBEUR, aber Jordan hat das Beste daraus gemacht, indem er das, was er Fälschung nennt, thematisiert hat. Daß die Freiheiten, die er sich herausnimmt, THE GOOD THIEF am Ende etwas aus dem Ruder laufen lassen, nimmt dem Film nichts von seiner entspannten Schönheit.

Jordan ist das Milieu der Kleinkriminellen nicht fremd; schon seine Erstlinge ANGEL und MONA LISA spielten in der Halbwelt. Und er hat mit Nick Nolte einen Hauptdarsteller gefunden, der mit seinem bewegten Leben auf ähnliche Weise für seine Rolle einsteht wie einst Roger Duchesne. Sein Bob ist ein gealterter Spieler, der in Nizza hängengeblieben ist, wo er gleichermaßen der Spiel- wie der Heroinsucht frönt, aber niemals beidem zugleich. So heruntergekommen kann er gar nicht sein, daß er nicht noch den Respekt der Polizei und der Halbwelt genießen würde. Aber es ist ein schmaler Grat, auf dem er sich bewegt, zwischen Rausch und Entzug, Glücksspiel und Verbrechen, Freundschaft und Verrat.

Wo Melville seinem film noir schon erstaunlich viele Grautöne abgewonnen hatte, da suchen Jordan und sein grandioser Kameramann Chris Menges alle erdenklichen Schattierungen von Blau. So gesehen, hat der Film den Blues, welcher wiederum von einem fabelhaften Soundtrack begleitet wird: Leonard Cohen und Johnny Halliday, Chemical Brothers und Cheb Mami, Noir Desir und Bono.

Jordan vertreibt sich so lange mit Improvisationen die Zeit, daß der Plot fast in Vergessenheit gerät. Der Vorlage hat er durch allerlei Doppelungen und Fälschungen einen Spiegel vorgehalten. Das beginnt schon damit, daß es in der Spielbank von Monte Carlo nicht ums Geld geht, sondern um die sagenhafte Kunstsammlung japanischer Investoren, von denen allerdings nur Fälschungen im Casino hängen. Daß die Originale geraubt werden sollen, ist womöglich aber auch nur ein Täuschungsmanöver.

Es gibt also zwei Bildersammlungen, zwei Pläne für einen Raub, zwei Zwillinge im Team und einen womöglich echten Picasso, von dem der Film seinen Titel hat, weil ein Kunsthändler (Ralph Fiennes in einer hübschen Nebenrolle) den Maler als „guten Dieb“ bezeichnet. Jordan erweist sich als guter Spieler, indem er schlicht den Einsatz verdoppelt. Und wie im wirklichen Leben lohnt sich das Risiko manchmal, und gelegentlich fliegt der Bluff auch auf. Dann wirken die Dialoge und die Wendungen allzu smart. Aber solange sich Jordan auf Nick Nolte und seine Fähigkeit, sich aus jeder Situation herauszunuscheln, verläßt, solange er sein elegantes Spiel mit den Farben der Côte d’Azur treibt, solange der Film all seine Versprechen noch nicht einlösen muß, fällt man auf die Fälschung freudig herein.

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