05. Februar 2009 | Frankfurter Allgemeine Zeitung | Filmkritiken, Rezension | Frost/Nixon

Der Bestechliche: FROST/NIXON

Im Mai 1977 wurden in Amerika vier jeweils neunzigminütige Interviews ausgestrahlt, in denen der britische Talkmaster David Frost den ehemaligen Präsidenten Richard Nixon zu seiner Karriere und ihrem unrühmlichen Ende befragte. Sie waren zwar der Zusammenschnitt von fast dreißig Stunden Material, das im März an zwölf aufeinanderfolgenden Tagen aufgezeichnet worden war, aber selbst der britische Autor Peter Morgan, der daraus erst ein Theaterstück und dann das Filmdrehbuch gestrickt hat, gibt zu, dass diese Sendungen unfassbar langweilig gewesen seien – bis auf einen einzigen Moment: eine Großaufnahme, in der Nixon beinahe die Fassung zu verlieren und den Tränen nahe zu sein scheint. Wer nicht aufpasste, konnte diesen Moment leicht verpassen, und obwohl die Rekordzahl von 45 Millionen Menschen die Interviews sahen, ist nicht bekannt, dass sie große Wirkung hinterlassen hätten. Dass dieser Film sie dennoch als Moment von geradezu historischer Bedeutung beschwört, macht seine eigene Größe aus.

Peter Morgan ist der Drehbuchautor, der schon das Kunststück vollbracht hat, dem millionenfach beleuchteten Trubel um Lady Dianas Tod jenen eigentümlichen Moment abzuringen, in dem Helen Mirren als THE QUEEN im schottischen Hochland einsame Zwiesprache mit einem majestätischen Hirsch hält, dem sie sich in der öffentlichen Hatz plötzlich nahe fühlt. Eine Szene, in der reine Erfindung und wahre Empfindung sich so vermischen, dass aus einer durch und durch öffentlichen Person eine fiktive Figur wird – und die Helen Mirren einen Oscar als beste Hauptdarstellerin bescherte.

Dreißig Stunden Langeweile

Morgan war damals auch nominiert, und nun darf er sich für FROST/NIXON erneut Hoffnungen machen. Sein Trick ist mehr oder weniger derselbe, sofern man die Dramatisierung historischer Ereignisse so nennen möchte, aber die Aufgabe war womöglich noch ein wenig schwerer, denn das Ausgangsmaterial bestand aus dreißig Stunden Langeweile, das auf einen Moment zugespitzt werden musste. Doch Morgan und seinem Regisseur Ron Howard gelingt es, aus FROST/NIXON einen würdigen Nachfolger zu Pakulas Watergate-Thriller ALL THE PRESIDENT’S MEN (DIE UNBESTECHLICHEN) zu machen. Während dort Nixon der große Abwesende war, den die beiden Journalisten Woodward und Bernstein zu Fall bringen, ist er hier der große Anwesende, der um seine Rehabilitierung kämpft, während die Öffentlichkeit darauf hofft, dass Frost gelingt, was den Gerichten untersagt blieb: dem Expräsidenten ein Schuldeingeständnis zu entlocken, wenn nicht gar eine Entschuldigung.

Dafür war David Frost jedoch die denkbar ungeeignetste Besetzung. So wie der Film ihn zeichnet, war der Talkmaster eher am Rampenlicht und süßen Leben interessiert und als Showbusiness-Figur zwar ein gefälliger Plauderer, aber kaum von jenem Format, einen gut beratenen Profi und hartnäckigen Leugner wie Tricky Dick in die Enge zu treiben. Michael Sheen, der in THE QUEEN bereits Tony Blair spielte, schafft es als Frost, das Halbseidene dieser Figur durchscheinen zu lassen, ohne sie bloßzustellen. Frosts Eidechsenhaftigkeit ist mit solcher Selbstverständlichkeit verkörpert, dass Sheen bei den Oscar-Nominierungen natürlich seinem Gegenspieler Frank Langella den Vortritt lassen musste, der Nixons unbehagliche Art bis ins Letzte auskostet und dabei stets die Gefährlichkeit eines verwundeten Raubtiers ahnen lässt.

Ungleiches Duell

Die Begegnung der beiden wirkt lange wie ein ungleiches Duell, in dem Frost oft fast wie ein Schuljunge wirkt, denn all seine Weltläufigkeit fällt in sich zusammen, wenn Nixon auf seine Schuhe starrt und ihn fragt, ob er Slipper nicht ein wenig zu affektiert finde. Eine Frage, die schon deswegen so köstlich ist, weil sie einerseits Nixons notorisches Hadern mit dem eigenen Image auf den Punkt bringt, aber eben auch, weil das arglose Interesse, mit der sie vorgebracht wird, auf einer Hinterlist gründet, die nur das Stolpern des Gegenübers im Sinn hat.

Anders als Woodward und Bernstein ging es Frost keineswegs um die Wahrheit, sondern um Geld und Einschaltquote. 600 000 Dollar hatte er Nixon aus eigener Tasche gezahlt, und das wurde schon damals als Fall von Scheckbuch-Journalismus angeprangert, von dem man hoffte, dass er nicht Schule machen werde. Aber Frost dachte wie ein Produzent, der eine Investition tätigt, und musste plötzlich erkennen, dass er den falschen Hauptdarsteller ausgesucht hatte. Denn seine Reputation als Leichtgewicht führte dazu, dass erst mal alle Fernsehsender und Geldgeber sich zurückzogen und von dem Interview plötzlich nicht nur seine berufliche, sondern auch seine finanzielle Zukunft abhing.

Grundsolides Entertainment

Und obwohl er zwei politisch versierte Berater (Oliver Platt und Sam Rockwell) engagiert hat, für die es beim Duell mit Nixon durchaus um Moral geht, bleibt er für ihre Ratschläge weitgehend taub. Wie gelähmt lässt er in den ersten Sitzungen Nixons gefürchtete Anekdoten über sich ergehen und scheint immer darauf zu hoffen, dass er am nächsten Tag irgendwie besser ins Spiel kommt. Aber immer aufgesetzter wirkt sein Optimismus, und immer verzweifelter reagieren seine Helfer auf seine Beratungsresistenz. Es müsste schon ein Wunder geschehen, um Nixon noch irgendein Geständnis abzuringen.

Die Kunst des Films besteht darin, dass er dieser Show des Scheiterns eine stetig wachsende Spannung abringt. Regisseur Ron Howard hat zwar in APOLLO 13 schon vorgeführt, wie man auf engstem Raum den Druck erhöht, und gilt seit seinem Oscar-Gewinner A BEAUTIFUL MIND als Garant für grundsolides Entertainment, hat es aber auch geschafft, aus dem spannenden DA VINCI CODE einen lähmend langweiligen Film zu machen. Hier jedoch gelingt ihm die Gratwanderung, anhand von zwei wenig sympathischen Kontrahenten, die sich nicht in die Karten blicken lassen, Journalismus und Politik als Spielarten des Showbusiness zu zeigen und die Frage zu stellen, ob man mit den falschen Mitteln zum richtigen Ergebnis kommen darf. Am Ende ist der Moment der Wahrheit vor allem gutes Entertainment. Sonst hätte man ihn womöglich verpasst.

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