06. Januar 1995 | Die Zeit | Filmkritiken, Rezension | Enthüllung

ENTHÜLLUNG von Barry Levinson

Bitte nicht berühren!

Dies ist eine Welt, in der es um Millionstelsekunden geht, um die Präzision und Geschwindigkeit von Datenverarbeitung. Hier genügt bereits ein Staubkorn, um alles aus dem Gleichgewicht zu bringen. Womit sich die Computerfirma DigiCom befaßt, ist eine Welt ohne Wenn und Aber. Ein Vielleicht gibt es hier schon gar nicht.

Genau darum geht es jedoch in dem Fall sexueller Belästigung, der im Mittelpunkt dieser Verfilmung von Michael Crichtons Bestseller „Enthüllung“ steht. Denn zwischen Mann und Frau sind Wenn und Aber und Vielleicht von entscheidender Bedeutung, zumal in geschlechtlichen Dingen. Was sich da abspielt, kann durch keine noch so schnelle und genaue Datenverarbeitung simuliert werden. Denn es geht darum, Zeichen zu deuten, die alles andere als eindeutig sind. Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz mag auf den ersten Blick das Thema von Buch und Verfilmung sein, und natürlich will jeder sehen, wie Demi Moore Michael Douglas an die Wäsche geht, aber in Wirklichkeit geht es um etwas ganz anderes: um Doppeldeutigkeit in einer Welt, die damit gar nichts mehr anfangen kann.

Im Grunde ist ENTHÜLLUNG eher ein Michael-Douglas-Film als ein Levinson-Film. Nach seinen Auseinandersetzungen mit Glenn Close in FATAL ATTRACTION, mit Kathleen Turner in DER ROSENKRIEG und Sharon Stone in BASIC INSTINCT ist dies ein weiteres Kapitel in der Tragödie eines lächerlichen Mannes: „Michael Douglas im Reich der Superschlampen“. „In DINER“, sagt Barry Levinson, „ging es um die Unfähigkeit der Jungs, Frauen zu verstehen, und um ihre Angst vor Frauen. Männer und Frauen waren wie zwei Stämme, die sich nie treffen. In ENTHÜLLUNG geht es um dasselbe Thema, nur in einem größeren Maßstab.“

Das dürfte auch die einzige Gemeinsamkeit zwischen diesem und anderen Filmen von Barry Levinson sein. ENTHÜLLUNG ist so aalglatt, daß man sich fragt, wozu man überhaupt einen Regisseur wie Levinson dafür gebraucht hat (Milos Forman hatte sich mit Michael Crichton zerstritten). Andererseits ist es diese Glätte, in der jede Regung von Lebendigkeit wie ein Sandkorn wirkt. Manchmal hat man den Eindruck, als würde die Wirklichkeit hier ihre letzten Rückzugsgefechte gegen die virtuelle Realität kämpfen. Damit ist nicht nur jene Welt gemeint, die sich im Computer simulieren läßt, sondern es sind auch jene künstlichen Konstruktionen, die durch den Zusammenschluß von Konzernen entstehen und die auch durch einen Chef wie den abgründigen Donald Sutherland nicht lebendiger wirken.

Dabei erscheint die postmoderne Architektur des Filmgebäudes mit all ihren verschachtelten Glaskäfigen wesentlich unwirklicher als die virtuelle Realität, die die Computer hier entwerfen. Mit ihrer kathedralenartigen Bibliothek und der Engelsfigur, die den Weg durch den Cyberspace weist, entwirft der Film genau jene Art von anachronistischem Design, das in Zukunft den Menschen die Angst vor der Moderne nehmen soll. Am schönsten wird das deutlich bei der elektronischen Post, die Michael Douglas auf seinem Bildschirm findet: Wenn er sie gelesen hat und wegwirft, dann sieht man, wie das Bild zerknüllt wird. Die Zukunft, ahnt man da, wird aussehen wie die Gegenwart – nur wird man sie nicht mehr anfassen können. Vor diesem Hintergrund wirkt das, was zwischen Michael Douglas und Demi Moore passiert, geradezu wie ein Akt des Widerstands.

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