07. Oktober 1986 | Süddeutsche Zeitung | Filmkritiken, Rezension | Dormire

Elektronische Schatten

Nikolaus Schillings Videofilm DORMIRE im Kino

Einst war sie am Klavier ein Wunderkind, heute ist Claudia Danner (Sunnyi Melles) Gattin eines Baulöwen. Oder schon Witwe? Inge Romanek (Sabina Trooger) ist Journalistin und vielleicht auch Claudias Retterin. Auf alle Fälle sind sie beide echte Nervensägen. Eine ganze Nacht lang reden oder schmollen sie, bespitzeln und attakkieren sich, gehen aufeinander zu oder verschließen sich. Doch alle Vorstöße und Rückzüge ordnen sich der einen großen Bewegung unter: von Hamburg nach München, im Schlafwagen durch die nächtliche Republik.

Die Hölle auf Rädern: Sartre hätte seine Freude daran gehabt Doch Nikolaus Schilling geht es mehr um Hitchcock. Schon deswegen, weil er im Zugabteil dessen alten Traum vom Film in einer Telephonzelle wahr macht Die Action ist geprägt von den Waffen, die den beiden Frauen zur Verfügung stehen: Feuerzeug und Diktiergerät Kugelschreiber und Schlaftabletten. So verlieren die Objekte ihre Unschuld, und aus dem penetrant zuvorkommenden Schlafwagenschaffner wird ein bedrohlicher Verfolger. Die Journalistin bietet ihre Hilfe an. Dafür will sie die alleinigen Rechte an der Story. Ein Kammerspiel fürs Boulevard, Kolportagekino fürs Fernsehspiel.

Schilling hat DORMIRE auf Video gedreht. Das mag einerseits neue Freiheiten gewähren, ist andererseits – vor allem auf der Leinwand – eben doch Beschränkung. Video mag durchaus eigene farbliche und ästhetische Qualitäten besitzen, im Kino machen die erkennbaren Bildzeilen, die flauen Schatten und trägen Lichteffekte wenig Sinn. Zugegeben, die Bildwiedergabe war störungsfrei, während ja der Vorführungsstandard von Zelluloidfilmen häufig zu wünschen übrig läßt. Doch sollte man nicht vielmehr vom Idealfall ausgehen? Für Schilling mag das Zelluloid tot sein, für den Zuschauer ist es das noch lange nicht.

Dabei hat er durchaus recht wenn er sagt man müsse die neuen Medien vereinnahmen, ehe das andere tun. Ob man deswegen aufhören muß, Filme auf konventionelle Art zu drehen, ist doch mehr als fraglich. DORMIRE ist nur noch der elektronische Schatten von Schillings früherem Zugfilm RHEINGOLD Das muß er doch auch sehen.

(In München im Isabella um 23 Uhr.)

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