11. Januar 2001 | Süddeutsche Zeitung | Filmkritiken, Rezension | Cast Away

Vier Jahre Einsamkeit

Robert Zemeckis setzt Tom Hanks auf einer gottverlassenen Insel aus und verhilft ihm zu einer strammen Diät: CAST AWAY - VERSCHOLLEN

Wenn man hört, dass Hollywood einen Film gemacht hat, dessen 143 Minuten meistenteils auf einer einsamen Insel spielen, wo ein Gestrandeter allein die Zeit totschlagen muss, dann kann man nicht anders, als das für eine besonders strenge Form der Selbstkasteiung zu halten. All das Brimborium, mit dem die Zuschauer sonst bei Laune gehalten werden, fällt plötzlich weg, und nicht einmal Dialoge stehen als ‚production values‘ zur Verfügung – wenn man mal davon absieht, dass dieser Robinson in seiner verzweifelten Suche nach einem Freitag anfängt, sich mit einem Volleyball der Firma Wilson zu unterhalten, der naturgemäß wenig gesprächig ist. Der Film erinnert also an jene Hollywood-Figuren, die sich immer wieder mal in Stress-Kliniken begeben, um sich auf Entzug zu setzen – die selbst verordnete Ruhe hat immer etwas irgendwie Zwanghaftes. Als wolle man der Welt zurufen: Seht her! Wir können auch anders.

So ganz ohne Rahmenhandlung kommt dieses Insel-Abenteuer dann natürlich doch nicht aus, denn schließlich hasst Hollywood nichts so sehr wie lose Enden – das wäre ja der reinste Nihilismus. So sehen wir also Tom Hanks als Einpeitscher der Firma FedEx, wie er in Moskau den Russen Beine macht. Wir erleben ihn atemlos, mit stetem Blick auf die Uhr, heute hier, morgen da. Selbst an Weihnachten ist er im Dienst und muss die Geschenke mit seiner Verlobten (Helen Hunt) vor dem Abflug hastig noch im Auto austauschen. Ihr Geschenk an ihn: die Taschenuhr ihres Großvaters mit einem Bild von ihr.

Das Thema des Regisseurs Robert Zemeckis ist: die Zeit. Seit ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT knetet er sie immer wieder wie einen Kaugummi, untersucht von Film zu Film, wie sie sich umdeuten und durchlöchern, wie sich die Momente dehnen und wie sich die Historie beschleunigen lässt. Nun hat er sich der Aufgabe gestellt, das Vergehen der Zeit schmerzlich fühlbar zu machen, ohne dabei Langeweile zu verbreiten – gleichzeitig muss begreiflich werden, dass Zeit auf so einer Insel irgendwann keine Rolle mehr spielt. Und das ist nicht allein mit der Einblendung getan: Vier Jahre später. Wenngleich der wahre Horror des Films natürlich gerade darin liegt: dass man kaum sich auszumalen wagt, was der Mann vier Jahre lang auf dieser Insel gemacht hat, auf der es außer Sonnenuntergängen nichts gibt, was die Aufmerksamkeit länger als fünf Minuten fesseln würde.

Der FedEx-Mann hat also als einziger einen Flugzeugabsturz überlebt, bei dem Zemeckis die Gelegenheit nutzt, nochmal auf die Tube zu drücken, ehe sich die Handlung in ruhigere Gefilde begibt. Was immer man von so einem Paradies erwarten mag, verflüchtigt sich in kürzester Zeit. Es gibt kein Trinkwasser, die Kokosnüsse sind nicht leicht zu öffnen, die Fische lassen sich nicht fangen, andere Tiere gibt es nicht, das Wetter ist auch nicht immer sonnig, und das Feuer ist noch nicht erfunden. Man sieht also zu, wie der Mann nach und nach all diese Probleme lösen muss, und wer je der Pfadfinderweisheit geglaubt hat, man müsse zur Feuergewinnung einfach nur zwei Hölzchen aneinanderreiben, wird hier eines besseren belehrt. All die Errungenschaften der Zivilisation müssen hier neu gelernt, die Elemente neu bezwungen werden – und das allein ist schon ziemlich atemberaubend. Und was die Zivilisation sonst, fein säuberlich in Fed-Ex-Päckchen verschnürt, als Strandgut anspült, ist von einer hohnlachenden Sinnlosigkeit, bei der sich der Autor die Hände gerieben haben dürfte: ein Paar Schlittschuhe, ein Abendkleid, ein paar Videocassetten – und Wilson, der Volleyball. Was würden Sie als Drehbuchautor einem Gestrandeten auf eine einsame Insel schicken?

Was VERSCHOLLEN so effektiv macht, ist nicht allein Tom Hanks’ Diät-Programm, das ihm 50 Pfund abverlangte und dem Regisseur Zeit ließ, zwischendurch SCHATTEN DER WAHRHEIT zu drehen, sondern vor allem die Fähigkeit des Schauspielers, sich niemals auf mimische Kniffe zu verlassen, sondern der bloßen Präsenz zu vertrauen. Und schon wieder wird Hanks für einen Oscar gehandelt – und wenn er im letzten Jahrzehnt nicht schon zwei gewonnen hätte, wäre er auch ein sicherer Kandidat.

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