24. September 1995 | Focus Magazin | Filmkritiken, Rezension | The Bridges of Madison County

Brücke übers Tal der Tränen

Clint Eastwood verfilmt mit Meryl Streep den größten US-Bestseller der letzten Jahre

Meryl Streep konnte das Buch nicht leiden. Clint Eastwood war auch nicht sonderlich begeistert. Und die Kritik hat es regelrecht gehaßt. Aber das konnte nicht verhindern, daß sich Robert James Wallers „The Bridges of Madison County“ weltweit 15 Millionen Mal verkaufte und monatelang die Bestsellerlisten in Amerika und sonstwo anführte. Drastisch formuliert lassen sich die Reaktionen so zusammenfassen: Entweder man heult oder man kotzt.

Es geht um zwei Menschen, die füreinander geschaffen sind, aber ihre Liebe trotzdem opfern. Ein weitgereister Fotograf kommt nach Iowa, um die berühmten überdachten Brücken des Madison County abzulichten, und trifft eine zurückhaltende Farmersfrau, die ihr Leben und ihre Träume ihrer Familie geopfert hat. Die beiden werden in einen Strudel der Leidenschaft gerissen, aus dem sie erst wieder auftauchen, als der Farmer mit den Kindern zurückkehrt. Obwohl die beiden wissen, daß sie füreinander bestimmt sind, entscheidet sich die Frau für ihre Familie.

Das alles wäre nicht halb so ergreifend, wenn der Autor seiner Geschichte nicht durch einen einfachen Trick etwas hinzugefügt hätte, was dieser Liebe Ewigkeit verleiht. Er erzählt die Affäre als Rückblende. Die inzwischen erwachsenen Kinder finden die Tagebücher ihrer toten Mutter. So erfahren sie von der heimlichen Liebe dieser Frau, die der zugunsten Familie alles in ihrem Herzen begrub. Diese Unabänderlichkeit des Schicksals ist es, was große Melodramen auszeichnet.

Tatsächlich ist diese Geschichte deshalb unverwüstlich und ihr eigentümlicher Sog durch nichts aufzuhalten, weder durch die abgeschmackte Prosa noch durch die maßlose Eitelkeit ihres Verfassers. Von Waller heißt es, er habe das Buch mit einem Handtuch um den Hals geschrieben, weil er ständig in Tränen ausgebrochen sei. So liest es sich auch: wie das Buch eines Menschen, der über seine eigenen Witze lacht. Und über seine eigenen Geschichten weint.

Eastwoods Name kam zwar schon früh ins Spiel als ideale Besetzung von Wallers Helden, aber er erklärte sich erst dazu bereit, als man ihm auch die Regie übertrug. Und er bestand darauf, die Drehbuchfassung von Richard LaGravanese zu verwenden, der schon in „König der Fischer“ bewiesen hatte, daß er einen ungewöhnlichen Blick für Herzensangelegenheiten besitzt.

„Waller hatte eine gute Idee“, sagt Eastwood: „Diese Beziehung zwischen zwei erwachsenen Menschen. Aber sein Stil ist etwas blumig. Sein Held ist sich seiner selbst und seines Talents sehr sicher. Jetzt hält er sich nur für einen guten Handwerker und hat weitaus weniger Selbstvertrauen. Das findet er erst in dieser Frau.“ Vor allem mußten aus der Vorlage jene Passagen gestrichen werden, in denen sich der Held unerträglich selbstgefällig zum „letzten Cowboy“ stilisiert. Clint Eastwood brauchte das nicht. Er ist der letzte Cowboy.

Wer sollte diesen Helden mit Anstand spielen, wenn nicht Eastwood. Nur ein Star, der es nicht nötig hat, sein Alter vor der Kamera zu verstecken, konnte der Peinlichkeit entgehen, sich in dieser Rolle zum letzten großen Liebhaber aufzuspielen. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn Robert Redford oder Warren Beatty die Hauptrolle übernommen hätten. Allenfalls Sam Shepard hätte man sich noch vorstellen können.

Auch nicht auszudenken, wie der Film ausgesehen hätte, wenn Steven Spielberg wie vorgesehen Regie geführt hätte. Weil er nach „Schindlers Liste“ jedoch eine Pause brauchte, hat er sich mit der Rolle als Produzent begnügt. Und er hat selbst zugegeben: „Ich glaube, er hat die Geschichte nicht nur anders, sondern auch besser verfilmt, als ich es gemacht hätte. Ich bewundere Clints Zurückhaltung, daß er bei einer so sentimentalen Geschichte nicht auf die Tränendrüse gedrückt hat.“

Heulen muß man natürlich trotzdem. Obwohl oder gerade weil Eastwood an den entscheidenden Stellen nicht auf die Tube drückt. Und natürlich weil er in Meryl Streep eine Partnerin gefunden hat, die an die Sache genauso erwachsen und uneitel herangeht wie er.

Eastwood, der kaum probt und schnell dreht, war begeistert von ihr: „Sie ist ein Profi wie Gene Hackman oder Morgan Freeman. Sie muß nicht erst lang in Stimmung kommen, sondern kann sofort loslegen.“ Streep ihrerseits war anfangs etwas ratlos: „Die erste Hälfte der Dreharbeiten hat er kaum mit mir gesprochen, und ich war schon etwas verunsichert. Aber eines Tages kam er her und sagte mit seiner leisen Stimme: „Du weißt, ich sage nie viel. Es sei denn, es gefällt mir nicht.“

Zusammen verleihen die beiden der Geschichte eine ungeahnte Würde und machen deutlich, daß es wirklich erst die Liebe ist, die sie beide aus der Reserve lockt, und nicht der selbstgefällige Machismo der Vorlage.

Die lockt allerdings mittlerweile busweise Touristen ins Madison County. Besonders Japanerinnen suchen nach den Gräbern der Helden und lassen sich auf der Roseman Bridge, wo alles anfing, gar trauen. Und für 1,75 Dollar gibt es sogar den Sand aus dem Fluß unter der Brücke im Fläschchen. Den kann man sich dann in die Augen streuen und von der ewigen Liebe träumen.

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