01. Dezember 1989 | Tempo | Filmkritiken, Rezension | Blue Velvet

Regie: David Lynch, USA 1986

Isabella Rossellini wirkt so lebendig wie eine Wachsfigur. Dennis Hopper sieht aus, als käme er aus einer Retorte. Die Hauptdarsteller sind Klone. Die Handlung ist irreal. Nichts an diesem Film ist echt, alles ist synthetisch. Wie blauer Samt. David Lynch, der erfolgreichste Irre im ganzen Gewerbe, reiste extra nach China, um dort altes Technicolor-Material aufzutreiben. Um den Farben alle Natürlichkeit austreiben und eine ganz und gar künstliche Welt erfinden zu können.

Die Vögel singen, die Sonne lacht, Mädchen backen Kuchen, Mütter freuen sich, und die Blumen blühen. Ein Mann sprengt seinen Garten. Ein Feuerwehrauto fährt vorbei. Das Bilderbuch einer Idylle. Aber es geht aus dem Leim. Und zwischen den Seiten kommt der stille Schrecken herausgekrochen. Der Mann fällt aus heiterem Himmel um. Der Gartenschlauch spritzt weiter. Die Kamera taucht hinab ins Gras. Ein abgeschnittenes Ohr. Wimmelndes Ungeziefer. Die Kamera gleitet tiefer. In die Abgründe einer Welt, unter deren falschen Farben dunkle Wahrheiten brüten.

Die verdrängten Träume eines Jahrzehnts bringt BLUE VELVET ans Licht. Auf einmal sehen wir, daß die schönen Frauen große Messer ziehen und die Freaks zurückschlagen.

Die alten Songs von Roy Orbison locken in eine Vergangenheit, die mit der Gegenwart noch längst nicht abgerechnet hat. Demütigungen, Atemnot, Gewalt. Nichts ist vergessen. Alles ist irgendwo gespeichert. Und alles kommt wieder. David Lynch sieht aus wie ein Pastor, aber er hat den Teufel im Leib. Seine Filme sind der reinste Exorzismus. Auch weil sie dem Sein den Schein austreiben. BLUE VELVET ist wie ein Pickel auf dem Gesicht des amerikanischen Kinos.

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