24. November 1993 | Süddeutsche Zeitung | Filmkritiken, Rezension | Aladdin

Als das Wünschen noch geholfen hat

Disneys 31. Zeichentrickfilm ALADDIN

Bald ist die ganze Welt ein Disneyland: Es gibt kaum eine Sphäre, die noch nicht kolonialisiert wurde. Der Dschungel und das Meer, der Wald und die Sümpfe, die Stadt und die Provinz, die Hölle und das Paradies. Fehlt nur noch das Weltall und der ferne Osten.

Diesmal hat Disney das Morgenland erobert und eine neue Form erschlossen: die Arabeske. Ornament und architektonische Form waren schließlich schon immer Disneys Domäne. Wo es bei den Warner Cartoons und den anderen um Bewegung und ihre Rituale ging, da hatte Disney immer noch großartige Schauplätze zu bieten. Dekor und Kulissen verwandelten jeden Ort in eine Seelenlandschaft und spiegelten auf diese Weise die Charaktere der Figuren wider. Auch in Aladdin setzt sich die Aura der Typen in der Architektur fort. Der runde Sultan prägt die Formen im Palast, bis sein Großwesir die Macht übernimmt, und sich die Formen seinem spitzen Wesen anpassen. Wo anderswo die Ausstattung Millionen verschlingt, genügt hier ein Pinselstrich.

Natürlich ist ALADDIN wieder ein Wunderwerk der Animation, mit dem sich nichts sonst messen kann – außer Disneys eigene Filme. Denn auch wenn es ketzerisch klingt, muß man sagen, daß unter Uncle Walt die besseren Filme entstanden sind. Ans DSCHUNGELBUCH oder ALICE IM WUNDERLAND kommt ALADDIN nicht hin, auch wenn der Geist Dschinni zu den schönsten Figuren Disneys gerechnet werden muß. Das mag an der Computeranimation liegen, die sich nie so recht ins Bild zu fügen scheint und die Bewegungen flüchtiger und weniger ausdrucksvoll wirken läßt. Vielleicht ist das auch nur eine Sache der Sehgewohnheiten.

ALADDIN ist jetzt schon der erfolgreichste Zeichentrickfilm aller Zeiten. Disney hat schon immer alle Bevölkerungsschichten angesprochen und ist praktisch konkurrenzlos auf diesem Markt. Und dennoch hat man alles getan, um nichts dem Zufall zu überlassen. ALADDIN wurde Tom Cruise und Michael J.Fox nachgebildet, Jasmin hat einige Ähnlichkeit mit Julia Roberts, und die Action erinnert an Indiana Jones. Manchmal hat man den Eindruck, daß Disneys wahre Kunst mehr in der Demographie liegt als in den graphischen Künsten der Zeichner. Aber da hat man nicht mit Robin Williams gerechnet, der den Flaschengeist nicht nur spricht, sondern mit seinem Wahnsinn auch prägt. Bei uns hat Peer Augustinski das Beste aus der undankbaren Aufgabe gemacht, ihn synchronisieren zu müssen.

Zukünftige Generationen werden also Aladin fortan mit Doppel-d schreiben, und damit dem Merchandising von Disney zum Sieg über den Duden verhelfen. Man kann Aladin dann aber auch, wie es der Film vorschlägt, einfach Al nennen.

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