06. November 2003 | Frankfurter Allgemeine Zeitung | Filmkritiken, Rezension | 196 BPM

Filme auf DVD

Romuald Karmakas Dokumentation "196 BPM"

Vermutlich sagt der Bonustrack noch mehr über Romuald Karmakars Qualitäten als Filmemacher als der Hauptfilm 196 BPM. Unter dem Titel DIE NACHT VON YOKOHAMA sieht man da, wie die deutschen Fans nach der Niederlage im WM-Finale gegen Brasilien auf der Straße feiern. Eine gute Viertelstunde lang Fans und Fahnen, Winken und Hupen, Ecke Joachimsthaler- und Kantstraße, wo hauptsächlich Baustelle ist. Die Aufnahmen hätte jeder machen können, aber es ist Karmakar, der in seiner Eigenschaft als Filmemacher die Sache quasi offiziell festhält, und man kann darauf wetten, daß irgendwer in ferner Zukunft sagen wird: Ah, so sahen damals die Autos aus, so sah die Kreuzung ohne Bebauung aus, und vor allem: So haben die Deutschen gelernt, auch Niederlagen zu feiern. Was das angeht, paßt der Bonus gut zum Rest, in dem auch gefeiert wird, was das Zeug hält. Auf der Straße, vor einer Dönerbude, im Club WMF, wo DJ Hell auftritt. Hell, der eigentlich Helmut Geier heißt und aus Altenmarkt kommt, ist ein deutscher Weltstar in der Technoszene, und Karmakar tut nichts anderes, als ihm bei der Arbeit hinter den Plattentellern zuzusehen, wie er die Platten auflegt, die Rillen sucht, den Einsatz findet. Wie seine Hände an den Reglern zucken, wie er mitgeht, wie er schwitzt. Die Digitalkamera schert sich nicht ums schummrige Licht, hält einfach drauf, schwenkt mal durch die Menge, folgt mal den Händen, dann wieder dem ganzen Mann, eine gute Stunde lang, weitgehend ohne Schnitt. Auch das hätte jeder machen können, aber nur Karmakar macht es. Ist da, kriegt etwas mit, was andere verschlafen, zeigt Präsenz, dokumentiert. Ein Antifernsehfilm, weil er sich allen Erklärungen verweigert: Wer ist DJ Hell, was macht er an den Reglern, wie funktioniert diese Musik? Genau das ist Karmakars Methode, er nimmt das Außergewöhnliche selbstverständlich und macht den Alltag zu etwas Besonderem. Fremdenlegionäre, Touristen, Totmacher, die Banalität des Schrecklichen und das Faszinosum des Banalen. Während man auf seinen Spielfilm DIE NACHT SINGT IHRE LIEDER wartet, kann man mit 196 BPM vorliebnehmen: billig gedreht, auf der Berlinale und der Viennale gelaufen, jetzt auf DVD.

(Absolut Medien Dokumente 744, 74 Minuten)