21. Dezember 1994 | Süddeutsche Zeitung | DVD-Kritik, Rezension | Stars unter sich: Fünfmal Agatha Christie auf Video

Für einen Mord braucht man mindestens zwei Leute. Für einen Kriminalroman braucht man, wenn man Agatha Christie glauben darf, etwa sieben Personen. Die alte Dame muß es wissen, denn sie war schließlich die Hohenpriesterin des orthodoxen Kriminalromans. Und deshalb konnte sie es sich auch leisten, mitunter genüßlich die Regeln zu verletzen, etwa zwölf Mörder auf einmal zu entlarven („Orient-Express“) oder den Erzähler selbst als Lügner und also auch als Mörder bloßzustellen („Roger Ackroyd“).

Aber ihr Stammpersonal war in der Regel immer das gleiche: ein Mensch, der an dem Mord interessiert ist; ein Mensch, der den Mord plant; und ein Mensch, der den Mord ausführt. Manchmal geht das eine mit dem anderen Hand in Hand, meistens jedoch nicht, weil es nichts Schöneres gibt als falsche Fährten. Dazu kommen naturgemäß ein Opfer und ein Detektiv sowie als Dreingabe ein jüngerer Mensch mit schwachem Charakter und ein älterer Mensch mit großem Herz. Diese sieben Personen suchen und finden ihre Autorin jedesmal.

Für Verfilmungen läßt das im Grunde nicht viel Raum, weil die Figuren kaum ihrem Korsett entfliehen können. Der einzige Ausweg besteht darin, sich augenzwinkernd auf die Marotten des Detektivs zu konzentrieren, so wie das bei MISS MARPLE mit Margaret Rutherford oder bei HERCULE POIROT erst mit Tony Randall und später mit Peter Ustinov geschehen ist. Weil das aber auf Dauer auch nicht mehr abendfüllend war, hat man versucht, den fehlenden Reiz mit Starpower zu übertünchen.

Fünf dieser All-Star-Produktionen sind jetzt bei VMP wieder auf Video erschienen, und die Liste der Beteiligten reicht quer durch die Filmgeschichte: Albert Finney, Lauren Bacall, Martin Balsam, Ingrid Bergman, Jacqueline Bisset, Jean- Pierre Cassel, Sean Connery, John Gielgud, Anthony Perkins, Vanessa Redgrave, Richard Widmark und Michael York in Sidney Lumets MORD IM ORIENTEXPRESS; Angela Lansbury, Geraldine Chaplin, Tony Curtis, Edward Fox, Kim Novak, Rock Hudson und Elizabeth Taylor in Guy Hamiltons MORD IM SPIEGEL; Peter Ustinov, Colin Blakely, Jane Birkin, Diana Rigg, James Mason und Roddy McDowell in Guy Hamiltons DAS BÖSE UNTER DER SONNE; Peter Ustinov, Jane Birkin, Lois Chiles, Bette Davis, Mia Farrow, Jon Finch, Olivia Hussey, George Kennedy, Angela Lansbury, David Niven, Maggie Smith und Jack Warden in John Guillermins TOD AUF DEM NIL; Peter Ustinov, Lauren Bacall, John Gielgud, David Soul, Carrie Fisher und Piper Laurie in Michael Winners RENDEZVOUS MIT EINER LEICHE.

Das sind beachtliche Besetzungslisten, in denen es jedoch keineswegs um die perfekte Illusion geht, sondern ganz im Gegenteil darum, ein Spiel zu treiben mit der Erinnerung an all die anderen Rollen der Stars. So kann die Phantasie des Zuschauers ganz neue Schnittpunkte zwischen den einzelnen Filmographien errechnen, die mit den Geschichten selbst gar nichts zu tun haben.

Im Grunde ist gerade die Vergangenheit, die jeder Star mit sich trägt, der einzige Verweis darauf, daß es auch noch eine Welt jenseits des Films gibt. Denn die Geschichten selbst leben ja gerade davon, daß sie die Welt so weit wie möglich ausschließen. Die Ordnung, die durch die Lösung des Falls hergestellt wird, ist ohnehin nur noch unter den beinahe klinischen Bedingungen der Abgeschiedenheit möglich: ein eingeschneiter Zug, ein Luxushotel auf einer Mittelmeerinsel, ein Filmteam in einem englischen Dorf oder ein Dampfer auf dem Nil. Die Wahrheit ist letztlich immer eine Enttäuschung, denn sie treibt den Geschichten den letzten Rest Lebendigkeit aus. Unterm Strich kommt bei Agatha Christie immer null heraus.

(Fünf Cassetten im Schuber 79,95 Mark bei VMP).

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