04. Juni 1993 | Süddeutsche Zeitung | Konzert-Kritik, Rezension | Frank Sinatra im Hamburger Derby Park

Frank Sinatra im Hamburger Derby Park

Es gibt einen Ort, ein paar Stockwerke über der Erde, da sind Leute wie er zu Hause. Dort liegt die Chefetage der Musik unseres Jahrhunderts, ein großer Ballsaal mit einer Bar im Foyer, wo die Gläser nie leer werden. Cole Porter und Jérôme Kern laufen da herum, Satchmo und Lady Ella, Rodgers und Hart, Johnny Mercer und Nelson Riddle und einige andere genauso große Namen, die sich aber an diesem Abend im Hintergrund halten. Und hin und wieder tritt einer von ihnen auf die Bühne, stimmt ein paar Takte an, zwinkert in die Runde, und der Saal nickt wissend mit dem Kopf. Man ist unter sich.

So muß man sich das vorstellen, wenn Frank Sinatra ein Konzert gibt. Er erhebt sich von seinem Barhocker dort oben und steigt auf jene Bühne, auf die auch den Sterblichen ein Blick vergönnt ist. Weil er von dieser Welt nicht lassen kann und sie nicht von ihm. Und dann fängt er mit ‚Come Fly with Me‘ an, obwohl ihm seine Stimme in diese Höhen nicht mehr folgt. Aber seinen Kumpels dort oben ist es egal, denn sie kennen ohnehin jeden Takt auswendig. Also schließen sie die Augen, lauschen der Erinnerung und freuen sich. Frankie Boy ist einer ihren. Und weil er für seinesgleichen singt, muß er auch nichts beweisen. Dort oben kommt es nicht so drauf an.

Unten, wo sich 12.000 im fast vollen Hamburger Derby Park tummeln, nimmt man die Einladung zum Mitfliegen zwar bereitwillig an, aber muß dann doch einige Zeit bangen, ob es die Stimme schaffen wird, überhaupt vom Boden abzuheben. Gut ein Drittel des Konzerts hopst sie über die Startbahn, ehe endlich das Fahrwerk eingezogen werden kann, und sie in einer langgezogenen Kurve abzischt in den verhangenen Abendhimmel. ‚Where or When‘, ‚I Get a Kick Out of You‘ oder ‚Come Rain or Come Shine‘ werden also eher von der Erinnerung getragen, und weil die den meisten teuer ist, haben sie genau dafür viel gezahlt. Es kommt nicht so drauf an.

Er ist 77 und hat alles gehabt, im Guten wie im Schlechten. Es gibt also verdammt wenig Gründe, sich in diesem Alter noch der Skepsis von Leuten auszusetzen, die alles zu wissen glauben über seine stattliche Anzahl von Toupets, seine kosmetischen und sonstigen Operationen, seine Frauen und Freunde. Außer dem einen: zu erleben, wie sich das Wunder der Stimme über die Zweifel hinwegsetzt, über Vergeßlichkeit und Gebrechlichkeit. Und da beginnt dann auch das Erlebnis für die Zuschauer: Mitzukriegen, wie die Stimme langsam warm wird, wie sie sich einzunisten beginnt in den Klängen des vom Sohn Frank jr. geleiteten Orchesters und sich dort breitmacht. Natürlich ist sie nicht mehr die alte, aber sie schafft es immer noch, sich an dieser Musik aufzurichten, um dann in bewährter Manier voranzuschreiten: ‚Witchcraft‘.
Wo sein Vortrag anfangs eher ein Vorschlag ans Publikum ist, selber zu sehen, was man daraus macht, da geht er dann entschlossen seinen Weg, tut es ‚my way‘. Sein Weg: das sind natürlich auch die ganzen Macken und Mätzchen, mit denen Leute wie er den Barhocker zum Thron und den Tresen zum Horizont gemacht haben. Die typische Handbewegung wird dabei von der Linken dadurch vollführt, daß sie sich möglichst nicht bewegt, sondern Zigarette oder Glas in allen Lebenslagen so hält, daß sie nicht runterfallen. Wenn sie nicht gerade damit beschäftigt ist, goldene Kettchen oder Armbanduhren zu präsentieren. Dieses ganze, aus dem Handgelenk praktizierte Männertum, mit dem Dinosaurier wie er oder Dean Martin die Italianità in den american way of life einbrachten, das hat er immer noch drauf. Und die dazugehörigen Sprüche, daß er ohne Jack Daniels nicht ganz so gut in Form ist, oder daß er Filterzigaretten nicht ausstehen kann, werden vom Publikum dankbar begrüßt. Auch wenn die filterlose Zigarette erst beim dritten Versuch brennt.

So gibt Old Blue Eyes dem Affen Zucker, wenn er einen Song ankündigt, den er nicht ausstehen kann, und dann ‚Strangers in the Night‘ singt. Oder wenn er seinen Leuten sagt: ‚Schießt schon mal los, ich steig dann einfach ein.‘ Der wunderbarste Moment jenseits von Standards wie ‚New York, New York‘, ‚Moonlight in Vermont‘ oder ‚Summer Wind‘ war jedoch ‚Angel Eyes‘, wo Frankie den Faden verlor, eine Minute vergehen ließ, bis das Orchester wieder beim Refrain angelangt war, um dann wieder einzusteigen in jenen Song, in dem man erfährt, warum eine einsame Bar im Morgengrauen manchmal so groß wie die ganze Welt sein kann. Und dann ging das Licht aus: ‚Excuse me, while I disappear…‘

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