04. April 1996 | Süddeutsche Zeitung | Fernsehen, Rezension | Murder One

Im Vorspann geht ein Riß durch die Stadt der Engel, die Welt ist in Blutrot getaucht. Der Tatort, die Leiche, die Cops blitzen auf. Dann schweben die Gesichter der Schauspieler wie Racheengel durchs Bild: Daniel Benzali, Stanley Tucci, Grace Phillips, Mary McCormack, Dylan Baker, Jason Gedrick, Kevin Tighe. Um Schönheit geht es hier offenbar nicht, sondern um Ausdruck und Charakter oder was man dafür hält. Dann kommt der Name des Produzenten Steven Bochco und man weiß gleich, woran man ist. Der Mann hat einst Polizeirevier Hill Street gemacht und das Genre mit NYPD Blues für die Neunziger aufgemöbelt. Und nun bringt er mit Murder One, Anwalts-Serien wie L. A. Law, für das er auch verantwortlich war, auf den neuesten Stand.

Formal heißt das: Die Kamera fährt und kurvt durch den Gerichtssaal, bringt die Opponenten wie Duellisten ins Bild und geht im Ernstfall in die Knie, um die Perspektiven dramatisch zu verzerren. Was den Inhalt angeht, räumt die Serie mit den letzten Illusionen über die Gerechtigkeit der Justiz auf. Ob Verteidigung oder Anklage, alle haben nur noch ihre Karriere im Blick. Kaum zu glauben, daß der toten 15jährigen, die von den Medien Goldlöckchen genannt wird, am Ende der 23 Folgen noch Gerechtigkeit widerfahren wird. ‚Ekeln Sie sich nicht manchmal vor sich selbst‘, fragt die Richterin den Staranwalt, als er ihr eine besonders dreiste Lüge über die Unbescholtenheit seines Mandanten aufgetischt hat. Seine Antwort begleitet er mit dem unschuldigsten Lächeln: ‚Manchmal, Euer Ehren.‘

Andererseits liegt es von jeher in der Natur der amerikanischen Rechtssprechung, daß alle Beteiligten ihre Performance abliefern müssen. MURDER ONE bringt es in einer Szene gleich auf den Punkt: Ob er sich klar mache, wie wichtig es sei, einen guten Eindruck zu machen, fragt der Anwalt seinen Klienten, einen jungen Schauspieler, als der im Drogenrausch im Justizgebäude erscheint. Statt zu antworten, reibt der sich kurz die Augen, konzentriert sich, und spielt ihm dann eine Szene voller Reue vor. In Amerika ist eben auch die Rechtssprechung reines Showbusineß. (Immer mittwochs, 20 Uhr, auf Vox).

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