31. Mai 2001 | Süddeutsche Zeitung | CD-Kritik, Rezension | Filmmusik

Die Rauchschwaden des Glücks

Eine grandiose CD-Reihe mit französischen Filmmusiken von Antoine Duhamel, Georges Delerue, Eric Demarsan und anderen

Wenn man sich partout entscheiden müsste, welche die schönste aller Filmmusiken ist, dann fiele die Wahl wohl auf jene Melodie, mit der die Kamera in Godards „Verachtung” immer wieder um Brigitte Bardot herumstreicht. Oder vielleicht doch eher auf jenes Vivaldi-hafte Stück, wenn sich in Truffauts „Amerikanischer Nacht” die Kamera auf ihrem roten Kran über die in den Studios La Victorine aufgebauten Pariser Kulissen erhebt. Der Assistent ruft „Moteur!”, die Kamera beginnt zu surren, die Komparsen setzen sich in Bewegung, und der Blick scheint Flügel zu bekommen. Es ist, als würde sich mit diesem kurzen Musikstück das Kino selbst in Bewegung setzen – und doch liegt auch eine Trauer darin, weil diese Parallelwelt nur für diesen einen Moment Bestand hat, ehe ihre Kulissen wieder weggeräumt werden. Wem es da nicht eiskalt den Rücken herunterläuft, dem ist nicht zu helfen.

Beide Stücke stammen übrigens von Georges Delerue, aber man kann ganz generell sagen, dass das französische Kino ab den sechziger Jahren ein besonders guter Nährboden für fantastische Filmmusiken aller Art gewesen ist. Das mag daran liegen, dass die Nouvelle Vague nicht nur die Bilder von diversen Zwängen befreit hat, sondern eben auch der Musik neue Räume geschaffen hat.

Davon kann man sich jetzt nochmal aufs wunderbarste überzeugen anhand einer CD-Reihe mit sogenannten bandes originales, die sich wechselweise einzelnen Komponisten oder Regisseuren widmet. 18 Folgen dieser Serie von Emercy (Universal Vertrieb, jeweils 75 FF) sind bereits erschienen; die Hommage an Claude Sautet wurde letzte Woche an dieser Stelle gewürdigt, darüber hinaus gibt es Philippe Sardes Musiken für Regisseure wie Roman Polanski, Bertrand Blier, Pierre Granier-Deferre, Alain Corneau oder Georges Lautner, die von Antoine Duhamel für Jean-Luc Godard oder die von Eric Demarsan für Jean-Pierre Melville. Und das schönste daran ist, wie liebevoll die Beihefte dazu aufgemacht sind, 12 bis 16 Seiten lang, mit fabelhaften Bildern und stets erhellenden Interviews, die auf Französisch und Englisch abgedruckt sind und eine ganze Welt hinter den Bildern aufschließen.

Natürlich transportieren die Musiken beim Wiederhören nicht immer, was sie einst beim Sehen den Bildern eingeschrieben haben. Manchmal wirkt es so, als habe die Erinnerung ihren eigenen Soundtrack über die Filme gelegt. Aber noch häufiger gibt es Überraschungen, wie taub man oft beim Sehen für die Besonderheiten der Musik gewesen ist – und wie eigenständig viele dieser Stücke sind, so dass sie beim Wieder- und Wiederhören oft ein Eigenleben gewinnen, dass manchen Filmen geradezu über den Kopf zu wachsen scheint. Das merkt man vor allem dann, wenn man von der Musik zurückkehrt zu den Filmen und feststellt, dass man nun beim Einsatz der Musik fast blind für die Bilder geworden ist, weil sie buchstäblich ihren Rahmen zu sprengen scheint. Was zuvor ganz im Dienst der Geschichte stand, erzählt plötzlich seine ganz eigenen Geschichten – das Gedächtnis geht in diesen Dingen eben ganz eigene Wege.

Am drastischsten ist das wohl bei Eric Demarsans grandioser Musik zu Melvilles Résistance-Thriller „Armee im Schatten”, weil sich da die inneren Bewegungen der Kompositionen nach und nach so verselbständigen, dass sie die Bilder vom Terror der Okkupation nach und nach wie Rauchschwaden vertreiben. Dabei hört man den vibrierenden Geigen, dräuenden Orgelklängen und schmerzlichen Klavierläufen durchaus noch an, dass sie ursprünglich eine dramaturgische Funktion erfüllten, aber offenbar schieben sich irgendwann eigene Bilder vors innere Auge, durch die der Film nur noch als Schattenreich durchschimmert.

Eric Demarsan erinnert sich im Beiheft an Melville, der inter stets geschlossenen Jalousien lebte: „Einmal habe ich Pink Floyd erwähnt, da wurde er wütend: ,Sie sind verrückt, Monsieur Demarsan, das ist keine Musik!‘ Er stammte einfach aus einer anderen Generation. Ich trug Anzüge aus der Carnaby Street und fuhr einen Jaguar; er trug einen Stetson und fuhr einen Pontiac Firebird.” Für die Szene, in der die Resistance-Kämpfer durch einen Tunnel zur Exekution geführt werden, hatte Melville Morton Goulds „Spirituals for Orchestra” verwendet und zu Demarsan gesagt: „Schreiben Sie mir etwas, das genauso gut ist.” Er war nicht davon zu überzeugen, dass das nicht gelingen konnte. Also schrieb Demarsan seine eigene Version des Stücks – die Melville nicht verwendete und die aber auf der CD enthalten ist.

Solche Zugaben finden sich in dieser CD-Reihe immer wieder. So erzählt Antoine Duhamel, dass er Godards Frau Anna Karina bei Maurice Ronets erster Regie-Arbeit kennen gelernt habe, was dazu führte, dass die Schauspielerin ihrem Mann einredete, sie wolle für „Pierrot le fou” einen Song von Duhamel und dem Texter Remo Forlani: „Das Problem war nur, dass Forlani in seinem Text für ,Mic et Mac‘ auf Annas persönliche Situation anspielte. Sie war hinundhergerissen zwischen Mic und Mac, zwischen dem Intellektuellen Godard und dem Dandy Ronet. Als Godard den Song hörte, fand er das nicht lustig, und ersetzte ihn durch etwas anderes.” Trotzdem durfte Duhamel den Rest komponieren, wie Godard verlangte, im Geiste von Robert Schuhmann – und später auch für „Week-end”. Godard, sagt Duhamel, sei der einzige Filmemacher, der ein so ausgeprägtes Gespür für Töne habe – diese CD-Reihe hilft jedenfalls, das eigene Bewusstsein dafür zu schärfen.

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