31. Dezember 1993 | Süddeutsche Zeitung | Film-Tips, Rezension | Film-Tips 31.12.1993

Den Kinos geht es gut wie schon lange nicht mehr, und trotzdem gab es im letzten Jahr nichts zu lachen. Die Lupe muß zumachen, das Theatiner hat nur noch am Wochenende Spätvorstellung, das Filmmuseum macht Sparprogramm. Tja, da sind die Leser dieser Zeilen echt selbst schuld, weil sie nie glauben, was man ihnen empfiehlt. Man kann wirklich froh sein, daß das Werkstattkino oder das Arena unverdrossen weitermachen, denn sonst würde es hier zappenduster. Wie in Hamburg oder Frankfurt oder Köln oder sonstwo in dieser Republik.

Schlafen wie Murmeltiere

Man stelle sich vor, es sei Neujahr und das alte Jahr beginnt wieder von vorne. Dieselben Filme, dieselben Gespräche, dieselben Zeitungen. 1993 forever. Was Kanzleransprachen im Fernsehen vorexerziert haben, hat Hollywood nachinszeniert: die Hölle der endlosen Wiederholung. Die Filme des Jahres sind demnach Harold Ramis‘ GROUNDHOG DAY (Original im Cinema am Mittwoch um 20.30 Uhr) und JACK SHOLDERS 12:01 (Stachus), weil sie von der ewigen Wiederkehr des Immergleichen erzählen. Die Zeit ist eine Platte mit Sprung, das Leben eine Folter, eine Pein. Ist das nicht längst schon Wirklichkeit?

Unter dem Zellophan

Wirklich erfreulich ist, daß man mittlerweile die meisten neuen Filme in dieser Stadt im Original sehen kann. Da hat sich die Hartnäckigkeit von Arena, Theatiner, Filmmuseum, Werkstattkino, Cinema und anderen echt ausgezahlt. Da kann man in PASSION FISH (Arena) den unvergleichlichen drawl des amerikanischen Südens hören oder in MALCOLM X (Cinema am Mittwoch) den rap der Schwarzen. Da gibt es ein Gefühl dafür, daß Sprache wie Musik sein kann und nicht nur ein Klangteppich, mit dem man die Bilder wie in Zellophan verpackt. Und man kann Harrison Fords sympathische Stimme hören in THE FUGITIVE (Cinema am Dienstag um 19. 35 Uhr) oder in BLADE RUNNER (Arena am Samstag und Sonntag um 22.45 Uhr), einem Film, dessen Visionen der Zukunft immer noch so faszinierend sind wie einst. Auch wenn im Director’s Cut der wunderbare Schluß fehlt, durch den diese Welt früher überhaupt erst die Luft zum Atmen erhalten haben.
Hundeleben
In Reservoir Dogs (Arena am Montag und Dienstag um 22.45 Uhr) zeigt Debütant Quentin Tarantino wie man mit dem Gangster-Genre ein intelligentes Spiel treiben kann, ohne gleich blutleer zu wirken. In Falling Down (Arena am Mittwoch um 22.45 Uhr) zeigt Michael Douglas, wie ein Mann rot sehen kann, ohne daß man gleich schwarz sehen muß. In Casablanca (Cinema am Dienstag um 22.05 Uhr) zeigt Humphrey Bogart, wie man cool sein und trotzdem ein Herz haben kann. In Frühstück bei Tiffany (Cinema am Sonntag um 11 Uhr) zeigt Blake Edwards, wie man Herzen zum Bluten bringt und dennoch Champagnerlaune verbreiten kann. Und in Zabriskie Point (Lupe am Dienstag) zeigt Michelangelo Antonioni, wie man nur das Nötigste erzählen und dennoch die Bilder zum Explodieren bringen kann.

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