29. Juni 1993 | Süddeutsche Zeitung | Film-Tips, Rezension | Kunst und Leben

Filmfest München: Ansichtssachen

Der Süden leuchtet

Es handelt sich immer um eine normale, sehr einfache Frau, die dennoch stets bereit ist, verrückt zu werden. Eine erloschene Frau, vom Leben ausgeschlossen und kurz davor, sich wieder zu entflammen. Eine Frau, die sich fragt, ob sie sich in ihren Begierden nicht getäuscht hat.‘ Die normale, sehr einfache Frau ist Cathérine Deneuve, die zum dritten Mal bei André Téchiné gespielt hat: Nach HÔTEL DES AMÉRIQUES, LIEU DU CRIME nun in MA SAISON PRÉFÉRÉE (Carl-Orff-Saal, 15 Uhr), einer Elegie aus dem französischen Süden.

Téchinés Charakterisierung entspricht nicht gerade dem Image der Eiskönigin, das sie lange begleitete. Dabei konnte man in ihrem absoluten Mangel an Exzentrität schon immer die Ursachen für ihr etwas somnambules Auftreten erahnen. Eine Frau, deren Aussehen Erwartungen schürte, für die sie in ihrem Inneren keine Entsprechungen fand. In Cannes hat Libération die beiden zum Gespräch gebeten. Da sagte Téchiné: ‚Cathérine ist jemand unnahbares, mythisches. Sie kam aus den Filmen von Demy und Buñuel und ließ mich träumen. Ich kam wie sie auch vom Kino her. Deshalb habe ich ihr eine Rolle geschrieben, die sich aus etwas anderem als dem Kino nährte, eine Rolle, die näher am Leben ist. ‚ Und sie erwidert: ‚Ich hatte immer Angst vor der Lust der Regisseure, mit mir zu arbeiten, wenn diese Lust rein einer Neugierde oder meinem Charme entsprang. Deshalb bin ich sehr reserviert gegenüber Leuten, die eine Beziehung nur auf die rein physische Verführung aufbauen. Ich bin viel eher berührt von Leuten, die sich mir zuerst im Kino genähert haben.‘

Sich dem Kino nähern über das Kino, darum geht es in der Reihe LIGHTS, CAMERA, ACTION!. Dokumentationen werden gezeigt, die die Schnittstelle zwischen Kunst und Leben beleuchten, wie die beiden Selbstbetrachtungen von John Boorman und Lindsay Anderson aus der britschen Fernsehreihe A DIRECTOR’S PLACE (Theatiner, 17.30 Uhr): Was macht ein Regisseur? Wovon träumt er? Wie lebt er mit seinen Figuren? Davor wird um 15 Uhr nochmal George Hickenloopers HEARTS OF DARKNESS gezeigt, in dem die schmerzhafte Geburt von APOCALYPSE NOW rekapituliert wird, die mehr mit Coppolas als mit Joseph Conrads Wahn zu hat.

Conrad stand nicht zufällig auch bei Hickenloopers erstem Spielfilm THE KILLING BOX (Eldorado, 17.30 Uhr) Pate. In der Geschichte aus dem Bürgerkrieg geht es um die Geister des Südens, die nicht zur Ruhe kommen wollen. Dort unten muß die Heimat des Kinos liegen . Das kann man auch in PASSION FISH (Carl-Orff-Saal, 22.30 Uhr) sehen, dem schönsten Film des Autors John Sayles, in dem eine Schauspielerin (Mary McDonnell) nach einem Autounfall gelähmt heimkehrt in den Süden und nach und nach ergriffen wird von jenem Lebensrhythmus, der dem trägen Treiben des Wassers in den Bayous gleicht: Eine Frau, die sich fragt, ob sie sich in ihrem Begierden nicht getäuscht hat.

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