24. Dezember 1994 | Süddeutsche Zeitung | Porträt | Richard Widmark

Richard Widmark wird 80

Mord, hat James Agee einmal gesagt, sei noch das Freundlichste, wozu er fähig ist. Was er damit gemeint hat, wird schnell klar, wenn man seinen ersten Auftritt 1947 in DER TODESKUSS sieht. Er spielt einen Psychopathen, dessen schneidendes Grinsen glatt durch die Leinwand zu gehen scheint und der auf dem Höhepunkt seines Wahns die eigene Mutter im Rollstuhl die Treppe hinabstürzt. Tommy Udo heißt er da, und so wie die Amerikaner das aussprechen – „judo“ -, klingt der Name wie ein Fluch, den man nicht mehr vergißt. Wer mit einem solchen Knall die Szene betritt, hat nicht mehr viele Wandlungsmöglichkeiten. Aber Widmark machte das Beste draus. Schon die Titel seiner Filme klangen wie Versprechen: NIGHT AND THE CITY, PANIC IN THE STREETS, PICKUP ON SOUTH STREET, NO WAY OUT, HELL AND HIGH WATER. Das tödliche Grinsen legte sich über alle seine Rollen und verlieh noch seinen aufrechtesten Figuren Abgründe. Unter der straff um seinen Schädel gespannten Haut hatte er nicht mehr Fleisch als nötig, was aus ihm den rechten Westerner machte – genau so werden sie ausgesehen haben, wenn sie wochenlang durch die Wildnis geritten sind. Widmark steht also wie kaum einer sonst für das bis zum Irrsinn neurotische Kino der fünfziger Jahre, und deshalb war er auch selten weniger überzeugend als in der Rolle des Psychiaters in Minnellis DIE VERLORENEN. Ganz groß war Widmark dann nochmal als SERGEANT MADIGAN, der erst bei Don Siegel und dann in der Fernsehserie immer haarscharf an der Grenze zum Verlierer agierte. Am Montag wird er 80, und er kann sich rühmen, daß es so gut abgehangene Typen wie ihn heute im Kino gar nicht mehr gibt.

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