10. März 1998 | Süddeutsche Zeitung | Porträt | Sharon Stone

Liebling, ich werde älter

Erwachsene Frauen sind die besseren Stars – Sharon Stone wird 40

Vierzig ist wirklich kein Alter. Da genügt schon ein Blick zurück, ganz ohne Zorn:

Die Art, wie sich Rita Hayworth in GILDA aus ihrem schwarzen Handschuh schälte, zeigte, daß sie längst begriffen hatte, daß von einem gewissen Alter an Andeutungen aufregender sind als nackte Tatsachen.

Die Art, wie Ingrid Bergman in CASABLANCA zum Pianisten sagte, „Play it again, Sam”, führte vor Augen, daß sie sich in einem Alter wähnte, in dem die Erinnerungen schwerer wiegen als die Hoffnungen.

Die Art, wie Greta Garbo in MATA HARI die Spionin mit vollem Körpereinsatz gab, erzählte davon, wieviel Übung nötig ist, Männern etwas vorzumachen.

Die Art, wie Vivien Leigh in VOM WINDE VERWEHT das verwöhnte Mädchen spielte, illustrierte, daß manche Frauen einfach nie erwachsen werden.

Wie Lauren Bacall in TO HAVE AND HAVE NOT Bogart um ein Streichholz anhaute, machte sofort klar, daß dies nicht die erste Zigarette war, an der sich eine Affäre entzündet hat.

Wer aber glaubt, daß damit bewiesen wäre, daß Erfahrung im Kino schon immer sexy war, der hat sich getäuscht. Hayworth und Bergman waren damals 27 Jahre alt, Greta Garbo 26, Leigh 25 und Bacall erst 19. Es mag vielleicht Ausnahmen geben, aber in der Regel läßt man solche Rollen heute nicht mehr von so jungen Hühnern spielen. Frauen, die so genau wissen, was sie tun, müssen mittlerweile mindestens die dreißig überschritten haben oder besser noch: auf die vierzig zugehen.

Sharon Stone wird heute vierzig, Michelle Pfeiffer, Jessica Lange, Barbara Hershey und Kim Basinger sind es schon. Für die Damen ist das vielleicht nicht unbedingt ein Grund zum Feiern, für uns schon. Es gab Zeiten, da hätte man über Schauspielerinnen zu diesem Anlaß genausogut einen Nachruf schreiben können, weil das Kino Frauen in ihrem Alter nichts mehr zu bieten hatte. Jetzt darf man hingegen behaupten, daß Sharon Stone eine Frau in den besten Jahren ist – und das kann man ausnahmsweise wörtlich nehmen. Daß es mit der Hälfte des Lebens für eine Schauspielerin im Kino erst richtig losgeht, gilt zwar nicht immer, aber immer öfter.

Die Pubertät beginnt immer eher, erwachsene Vergnügungen sind immer früher verfügbar – und doch dauert es immer länger, bis Schauspielerinnen im Kino echte Frauen spielen dürfen. Soziologen wüßten womöglich eine Antwort auf die Frage, warum die Reife ausgerechnet heute kein Fluch mehr ist. Aber es ist fraglich, ob damit im Wechselspiel der Moden, in dem das Kino kräftig mitmischt, wirklich etwas gewonnen wäre. Jedes Jahr, jede Saison gar, wird eine neue Linie ausgerufen, und die Trends wechseln so schnell wie die Saumlängen. In einem Metier, in dem das Image alles ist und die Abbildung nichts, leben die Bilder der Frauen mehr und mehr von ihrer Präsenz und nicht von den Erfahrungen, die ihnen eingeschrieben sind. Das ist der Grund, warum immer mehr Models als Seiteneinsteiger Erfolg haben: Ihre Gesichter sind Markenzeichen und lassen sich auch im Kino besser bewerben und verkaufen als Schauspielerinnen, die sich erst einen Namen machen müssen. Wo aber die Werbung und die Mode nur von schönen Lügen leben, da muß das Kino mitunter auch von unangenehmen Wahrheiten erzählen. Daß es auch für Frauen ein Leben jenseits der dreißig gibt, ist nur eine davon.

Seit Spielberg das Kino in ein Kinderzimmer verwandelt hat, sind die Zuschauer immer jünger geworden – ihre Stars und deren Rollen auch. Das Angebot an weiblichen Rollen, die keinesfalls in den Geruch der Mutterschaft geraten dürfen, ist so groß, daß Frauen bis ins beste Alter Mädchen spielen müssen. Winona Ryder ist so alt wie die Garbo in MATA HARI und könnte leicht als ihre Tochter durchgehen. Und Uma Thurman hat Ingrid Bergmans Alter und wirkt doch auch wie ihre kleine Schwester. Wenn man so will, geht mit dieser Infantilisierung auch eine gewisse Körperlosigkeit einher, ein fehlendes Bewußtsein für die Erfahrungen des Fleisches. An vielen Filmen klebt der Geruch von Pubertät – oder gar keiner. Terminatoren und andere Außerirdische schwitzen nicht.

In diese vegetarische Welt, in der Fleisch nur als abstrakte Form denkbar war, platzte Sharon Stone, schlug einmal kurz die Beine übereinander, weckte in Millionen verschüttete basic instincts und formulierte mit ihrem Körper, was Hollywood nicht mehr zu träumen wagte: „Liebling, ich werde älter. Na und?”

Wie man an Titanic wieder sieht, ist das Kino deswegen noch lange nicht erwachsen geworden. Aber es ist schön, daß es Frauen wie Sharon Stone gibt, die daran erinnern, daß Schönheit und Erotik und Sex auch im Kino nicht nur eine Sache der Oberflächen sind, sondern unter die Haut gehen.

Woher Rita, Ingrid, Greta, Vivien und Lauren all das zu wissen schienen, was ihre Auftritte erzählen, gehört zu den Wundern des Kinos. Manchmal weiß die Kamera eben doch mehr, als das Auge sieht. Dann schreibt sie den Gesichtern Erfahrungen ein, die wie Wasserzeichen auf einem unbeschriebenen Blatt Papier durchschimmern.

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