27. Juni 1985 | Süddeutsche Zeitung | Porträt | Paul Schrader

Dämonenaustreibung eines Calvinisten

Zur Werkschau des Regisseurs und Drehbuchautoren Paul Schrader beim Münchner Filmfest

Seinen ersten Film hat er erst mit 17 Jahren gesehen, denn Paul Schrader wurde von seinen Eltern in strengem kalvinistischen Glauben aufgezogen, der Filmbesuch ihm als „profanes Vergnügen“ untersagt. Man kann sich vorstellen, mit welcher Besessenheit später der Student Schrader Filmkurse belegte und Kinos besuchte, aber auch, wie die religiöse Erziehung seine Moral- und Wertvorstellungen geprägt hat. Tatsächlich tauchten die Denkmuster des Kalvinismus in seinem Werk immer wieder auf – die Unzulänglichkeit der Welt, die kompromißlose Trennung von Gut und Böse und das Streben nach Reinheit.

Dieses Denken hat auch seine Figuren geprägt, die nach Reinheit, Erfüllung oder Perfektion streben und meist genau das Gegenteil erreichen. RAGING BULL Jake La Motta will seine Frau bedingungslos an sich fesseln und erreicht bei ihr statt dessen Entfremdung, TAXI DRIVER Travis Bickle wird im Verlauf des Films genau zu dem, was er haßt und beseitigen wollte, die BLUE COLLAR Arbeiter werfen ihrer Gewerkschaft Bestechlichkeit vor, wollen es besser machen und werden selbst käuflich, AMERICAN GIGOLO Julian Kaye sucht die Liebe, indem er aus sich den perfekten Liebhaber macht, und bekommt am Ende gesagt, daß ihn niemand ausstehen kann. Diese Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist der Motor, der die Filme vorantreibt. Wieweit sich die Protagonisten dessen bewußt sind, zeigen drei der Filme auf recht unterschiedliche Weise. Travis merkt überhaupt nicht, wie weit er sich vom selbst gestellten Anspruch entfernt; Julian Kaye erkennt am Ende durch das Opfer einer Frau, daß sein Streben bis dahin das Gegenteil bewirkt hat; und Yukio MISHIMA lebt im Bewußtsein der Aussichtslosigkeit seines Anspruchs und zieht am Schluß – wie seine Romanfiguren – die Konsequenz.

Daß Paul Schrader Sartres „Der Ekel“ noch einmal gelesen hat, bevor er anfing, TAXI DRIVER zu schreiben, merkt man nicht nur an dem Ausspruch von Travis‘ Kollegen, der sagt: „Du bist, was du tust.“ Für Travis wie für den existentialistischen Helden stellt sich die gleiche Frage: „Warum soll er leben?“ Doch da Travis nicht zu dieser Fragestellung gelangt, sucht er eine Lösung seines Konflikts woanders. Statt den selbstzerstörerischen Impuls zu verinnerlichen, kehrt er ihn nach außen, statt sich selbst zu töten, tötet er andere. Er verwechselt die eigene Unzulänglichkeit mit der der Welt und gibt sich der Illusion hin, sein Leben würde sich ändern, wenn nur die Widerwärtigkeiten in seiner Umgebung beseitigt würden. Darüber verliert er die Realität aus den Augen und verrennt sich in seine Visionen vom großen biblischen Regen, der den Abschaum von den Straßen schwemmt. Unbemerkt hat sich sein Wertsystem verschoben, er wird zu dem, was er haßt.

In ähnlichen Kategorien denkt der Vater in HARDCORE, der in den Schmutz des Pornogeschäfts eintaucht, um seine verschwundene Tochter zu suchen. Er, der Geschäftsmann aus Grand Rapids (daher stammt auch Schrader selbst), kommt gar nicht auf die Idee, daß seine Tochter aus freiem Willen die brutale Ehrlichkeit des Pornogewerbes der verklemmten Heuchelei des Elternhauses vorgezogen haben könnte. Seine religiösen Moralvorstellungen lassen eine andere Sicht der Welt als die eigene überhaupt nicht zu. Er verzeiht schließlich seiner Tochter, weil etwas anderes als Verführung ihm nicht vorstellbar ist – er hat nichts begriffen.

Schraders Filme übernehmen hier die Perspektive ihrer Protagonisten, bewahren so deren Widersprüche und geben dem Zuschauer Einblicke in die Denkweisen der Figuren. Was Schrader trotz allem immer wieder den Vorwurf einbrachte, seine Filme seien quasi-faschistisch.

Dabei handelt es sich bei den Filmen immer um die Schilderung subjektiver Weltsichten, um hermetische Welten, die sich, gerade indem sie die verfälschte widerspruchsfreie Realität meiden, der Analyse öffnen. Wie das zu verstehen ist, beigreift man vielleicht am besten, wenn man sich ansieht, was Schrader zu John Flynns Verfilmung seines Drehbuchs für ROLLING THUNDER gesagt hat: „Anstelle eines Films über einen Rassisten ist daraus ein rassistischer Film geworden.“ Genau das macht den Unterschied aus.

Das Ende von TAXI DRIVER läßt keinen Zweifel, daß die Phantasie eines Psychopathen geschildert wird. Zeitlupe und Tonführung machen klar, daß das Blutbad keine realistische Szene ist. Ursprüngllch wollten Schrader und Scorsese die gesamte Szenerie in Blut tauchen, um dem Ende jeden Realismus auszutreiben – aus Gründen der Zensur wurde es dann doch unterlassen. Das Finale schließlich offenbart die ganze Armseligkeit von Travis‘ Unternehmen – ein paar kurze Zeitungsartikel hängen an der Wand, und ein Dankesbrief von Iris‘ Eltern wird im Off verlesen. Nichts hat sich geändert.

Paul Schrader hat, als er noch Filmkritiker war, in seinem Buch „Transcendental Style in Film“ über Bresson geschrieben. Am deutlichsten schlug sich die Beschäftigung mit dem französischen Regisseur in AMERICAN GIGOLO nieder.

cist ein Remake von Bressons PICKPOCKET. Die Flucht vor den Schuldzusammenhängen der Wirklichkeit ins Ritual ist ein Thema beider Filme. Das Ritual ist ein mechanischer Ablauf, ist abstrakte Form. Alle Widersprüche, alle Unzulänglichkeiten heben sich hier in der in Regeln erstarrten Perfektion auf. Ob Travis Bickle vor dem Spiegel sein Waffenarsenal anprobiert und Bewegungsabläufe trainiert, oder ob Julian Kaye verschiedene Anzugkombinationen zurechtlegt und sich dann sorgfältig ankleidet, immer steht dahinter die Sehnsucht nach Vollkommenheit, in der allein die unbewältigte Welt verdrängt werden kann. Aber das Ritual kann nur eine imaginäre Rettung sein, denn dahinter verbirgt sich der Tod des Lebendigen. Was Schrader in „American Gigolo“ in ein komplexes System von unauflösbaren Widersprüchen einbaut. Julian Kaye, die männliche 1000-Dollar-Hure, erliegt seinen Selbsttäuschungen, verwechselt seinen perfekt gemachten Sex mit dem Ausdruck eigener Persönlichkeit: „Alles was du über mich wissen kannst, lernst du, indem du es mit mir treibst.“ Ein fataler Irrtum: die gläserne Kälte des Rituals als Essenz der eigenen Person, die verselbständigte Form als Inhalt auszugeben. Julian verkennt, daß die Verdrängung der Realität im Realitätsverlust endet. Er zertrümmert seine schicke Einrichtung, als seien es nur diese Dinge, die ihm den Blick auf die Wahrheit verstellen. Die Flucht in die Form ist ein Ausweg nur für den Augenblick, vor Schuld kann, man auf Dauer nicht fliehen. Folgerichtig endet Kaye am gesellschaftlichen Ort der Schuld, im Gefängnis, aus dem er nur durch Michelles Opfer befreit wird. Das Annehmen des Opfers ist ein Moment unglaublicher Zartheit, eine Geste, als empfange er die Gnade, ein Senken des Kopfes: „O Gott, Michelle, ich habe so lange gebraucht, zu dir zu kommen.“ Die Erkenntnis, eine Kopie des Schlusses von „Pickpocket“.

Die Allgegenwart von Ritualen in Japan liegt Paul Schrader nahe, das hat man schon in seinem Drehbuch THE YAKUZA gesehen. MISHIMA ist die Biographie des gleichnamigen japanischen Schriftstellers, der sein Leben zum Kunstwerk stilisieren wollte. Nicht umsonst nennt Mishima Thomas Mann als Lieblingsautor, die Unvereinbarkeit von Kunst und Leben ist der Widerspruch, an dem er zerbricht. Seine Werke sind der ständige Kampf um Harmonie und Einheit, ein Anspruch, dem er auch in seinem Leben nachzukommen versucht, indem er seinen Körper stählt und in elitäre Rituale flüchtet. Seine Phantasien werden zum Käfig, der die Weit ausschließt und ihn gefangenhält in der Sehnsucht nach Berührung, nach Empfindung. Seine Figuren spiegeln das wider, und die Fiktionen wiederum deuten die Konsequenz für den Autor bereits an: Im Moment des Todes verbinden sich die drei Ebenen – Vergangenheit, Gegenwart und Fiktion – zu einer, der kurze Augenblick der Erfüllung.

Schraders neuester Film ist wieder einmal eine Reise durch den Kopf seines Protagonisten, und wieder wird der Faschismus-Vorwurf laut. Dabei läßt die Lächerlichkeit der versuchten Machtergreifung, ihr klägliches Scheitern, keinen Zweifel über Schraders Absichten. Das Eintauchen in die hermetischen Welten anderer ist eben seine Art der Dämonenaustreibung.

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