06. Januar 2010 | Frankfurter Allgemeine Zeitung | Porträt | Posession

Filme wollen nicht mehr beißen, sondern nur noch lecken

Andrzej Zulawskis Westberliner Kultfilm POSSESSION endlich auf DVD - und in Amerika errichtet eine neue Edition dem Polen einen Schrein

Als sie das erste Mal den fertigen Film gesehen hatte, sagte Isabelle Adjani, die Kamera habe kein Recht, so tief in die Seele eines Schauspielers einzudringen, und bezeichnete POSSESSION als „psychologische Pornographie“.

So erzählt es Andrzej Zulawski in dem exzellenten Audiokommentar, der für die bei Anchor Bay erschienene US-DVD von POSSESSION aufgenommen wurde und den das junge deutsche Label Bildstörung übernommen hat. Der Pole, der seit LA FIDELITÉ und der Trennung von Sophie Marceau im Jahr 2000 keinen Film mehr gedreht hat und mittlerweile als Romancier wieder in Warschau lebt, erweist sich darin als selbstbewusster Kommentator seines Werks, der weder sich selbst noch andere schont. So erzählt er ganz ungeniert, dass sich Adjani nach Ansicht des Films POSSESSION versucht habe umzubringen, sie aber dafür ganz im Stile einer auf den Effekt bedachten Diva einen Rasierer benutzt habe, dessen Klinge gar nicht tief genug schneiden konnte. Ansonsten bezeichnet er sie als verwöhnte Göre, die sich aber zumindest während der Dreharbeiten als „braver Soldat“ erwiesen habe. Dass hinter der Kamera Bruno Nuytten stand, der auch Vater ihres ersten Kindes war, verleiht ihrem späteren Entsetzen eine besondere Note.

POSSESSION ist, auch da nimmt Zulawski kein Blatt vor den Mund, die Aufarbeitung der Beziehung zu seiner Frau Malgorzata Braunek, die Hauptdarstellerin seiner frühen Filme war und sich zwei Jahre zuvor von ihm getrennt hatte. Und auch wenn man das natürlich nicht so unmittelbar auf den Film übertragen kann, dürfte sich kaum eine Exfrau über dieses Porträt als doppelgesichtiges Wesen freuen, dessen Wahnhaftigkeit darin gipfelt, ein krakenartiges Schleimwesen zu gebären, dem sie sich dann immer wieder lustvoll hingibt. Und auch das Vorbild für die Figur des Gegenspielers, den Heinz Bennent als eitlen Buddhismus-Guru gibt, dürfte kaum begeistert gewesen sein über das blutige Ende, das er hier in einer Toilette nimmt. Das Alter Ego des Regisseurs spielt übrigens der Australier Sam Neill, und den ersten Ehemann der Frau sollte Bernhard Wicki spielen, der aber von Zulawski nach nur einem Drehtag wieder heimgeschickt wurde, weil er betrunken war – seine Rolle wurde ersatzlos gestrichen.

Es ist nicht so, dass Zulawski diese biographischen Parallelen als Schlüssel verstanden haben will, aber sie bilden einen interessanten anekdotischen Hintergrund für dieses durch und durch monströse Eifersuchts-Tollhaus, das nach seinem finanziellen Misserfolg 1980 schnell einen sehr berechtigten Kultstatus erlangte. Die Anhängerschar dürfte durch diese deutsche Erstveröffentlichung, die mit dem Mauerfalljubiläum zusammenfiel, noch wachsen, denn in kaum einem Film ist die irreale Atmosphäre der West-Berliner Grenzsituation so beklemmend eingefangen worden wie hier. Zulawski drehte in der Bernauer und Luckauer Straße direkt an der Mauer, die in den weitgehend menschenleeren Straßen monströs wie nie erscheint, als sei sie ein Sinnbild für die Teilung, mit der Zulawski auch die Doppelgänger voneinander scheidet in normale Liebende und rasende Bestien. Kein Wunder, dass Zulawski 1982 das Nachwort zu Enki Bilals DIE MAUER beisteuerte (und Bruno Ganz übrigens das Vorwort). Ein blaues Licht macht aus diesem nasskalten Westberlin die unwirtliche Landschaft eines unbewohnten Planeten, in dessen riesigen Altbauwohnungen Monster hausen, die in seinen Gedärmen geboren werden. Der Höhepunkt des Exzesses findet in einem Fußgängertunnel der U-Bahn-Station Platz der Luftbrücke statt, wo Isabelle Adjani mit Schaum vor dem Mund ihr inneres Biest zur Welt bringt. Zulawski bemerkt dazu übrigens, dass er diese schauspielerische Selbstentäußerung weniger abstoßend finde, „als mit Michael Douglas im Bett zu liegen und so zu tun, als habe man einen Orgasmus“.

Womit wir bei der berühmten Szene Romy Schneiders aus L’IMPORTANT C’EST D’AIMER (zu Deutsch: NACHTBLENDE) wären, in der sie für einen Horrorfilm auf einer Leiche einen Orgasmus mimen muss und den Kamerablick des Fotografen abzuwehren versucht und beteuert, sie sei eine ernsthafte Schauspielerin. Womöglich rührt die Abwehr aber auch daher, dass auch sie fürchtet, die Kamera könnte zu tief in ihre Seele blicken und erkennen, dass in den falschen Emotionen ihres Spiels doch etwas Wahres steckt.

L’IMPORTANT ist gerade in Amerika erschienen bei dem Label MondoVision, die sich geradezu ausschließlich der Wiederentdeckung Andrzej Zulawskis verschrieben haben und den Geniestreich aus dem Jahr 1974 wie LA FEMME PUBLIQUE und L’AMOUR BRACQUE als unfassbar schöne Spezialedition und nur unwesentlich teurere aufwendige Collector’s Edition auf den Markt gebracht haben. Auch hier gibt es einen Audiokommentar, den Zulawski im Gespräch mit dem Journalisten Daniel Bird beisteuert, und auch hier schont er die Beteiligten nicht. Mit Romy Schneider, sagt er, konnte man immer nur bis drei Uhr nachmittags drehen, weil dann der Weißwein zu wirken begann, dem sie reichlich zusprach. Klaus Kinski, der hier seine traurigste Rolle spielt, bescheinigt er klinischen Irrsinn. Und Fabio Testi, der hier wirklich die Rolle seines Lebens spielt, wird von Zulawski als Idiot geschildert, der nie verstand, worum es geht, aber gut aussah. Das Wunder des Kinos als Verwandlungsmaschine besteht darin, dass man; selbst wenn man das weiß, immer noch eine Tiefe des Empfindens in ihn hineinliest, deren Ernst und Verzweiflung offenbar doch nur reine Projektion sind.

Das Eigenartige ist, dass sich die bis heute herzerweichende Kraft und Wahrhaftigkeit des Films über einen Fotografen, der sich aus Liebe verkauft, um einer Schauspielerin zu ermöglichen, sich nicht mehr verkaufen zu müssen, kaum in Zulawskis Kommentaren widerspiegelt. Es ist nicht so, dass er nicht entsprechend selbstbewusst wäre, aber er spricht doch auch aus einer Distanz zu den Figuren und dem Film, die darin gipfelt, dass er sich bei der Schlusseinstellung bis heute fragt, ob er nicht doch von dem am Boden zerstörten Paar Schneider-Testi hätte zurückfahren und das Ganze wie am Anfang als Teil eines Filmdrehs hätte entlarven sollen. Und das Schlimmste ist, dass die Idee nicht ganz ohne Reiz ist. Außerdem hätte man gerne jene Szenen gesehen, die Zulawski aus Geldmangel schneiden musste und in denen Romy in einem Cabaret Marlene imitiert.

Am Ende bekamen Romy Schneider wie Isabelle Adjani jeweils einen César. Und Andrzej Zulawski hat seit zehn Jahren keinen Film mehr gedreht und beklagt nur eines: dass Filme heutzutage nicht beißen wollen, sondern nur noch lecken.

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