24. August 1994 | Süddeutsche Zeitung | Porträt | Uschi Obermaier

Leopoldstraße: Zeitreise in Begleitung der schönen Münchnerin

Mit Uschi zwischen Sein und Schein

Auf seiner Flaniermeile gebärdet sich München gern international – eine Frau, die von Schwabing in die Welt gegangen ist, weiß, wo hier der wahre Spaß liegt

München, im August – Wir sind leider nicht in Frankreich. Dort gibt es die schöne Sitte, die Büste der Marianne, die in jedem Rathaus steht, der jeweils schönsten Frau des Landes nachzubilden. Einst war das Brigitte Bardot, später dann Cathérine Deneuve, und irgendwann wird es vielleicht Juliette Binoche sein. Gäbe es in München einen ähnlichen Brauch, dann würde das Münchner Kindl vermutlich die Züge von Uschi Obermaier tragen und nun in jeder Amtsstube stehen. Dabei zierte sie vor gut einem Vierteljahrhundert als Pin-up die Wände von Kfz-Werkstätten und WG-Toiletten, hatte nur eine Jeans an und warb für die Liebe und alles, was damals sonst noch so in Mode war. Sie war also der Traum all jener, die aus dem ein oder anderen Grund der Mode immer hinterherhinken – also fast aller.

Aus dem Himmel dieser Träume kommt Uschi Obermaier hinabgestiegen auf die Leopoldstraße, direkt ins Café Venezia, wo der Korrespondent ein lauschiges Eck ausgesucht hat. Und sie sieht so aus, wie man sich das vorstellt bei jemandem, der nichts bedauert im Leben. Der die schlechten Zeiten nicht bereut und den guten nicht nachtrauert. Und der immer gewußt hat, daß Schönheit nichts ist, wenn man keine Freude daran hat. Uschi Obermaier ist also – keine Diskussion! – die schöne Münchnerin. Und daran kann auch das Alter nichts ändern, weil das weniger eine Sache der Anschauung als eine Sache der Einstellung ist. Wer daran glaubt, daß er ein Recht auf all den Spaß hat, den München zu versprechen scheint, der gehört schon dazu. Und Uschi Obermaier hat nicht nur daran geglaubt, sondern auch ihren Spaß gehabt. Reichlich.

Wenn man dem Sommer in seiner allermünchnerischsten Ausprägung begegnen will, macht man es sicher richtig, wenn man sich mit Uschi Obermaier auf der Leopoldstraße trifft. Und zwar gerade dann, wenn man dem Spaß, den diese Straße verspricht, nichts abgewinnen kann und darin all das zu erkennen glaubt, was in München falsch ist. Manchmal kann man fast den Eindruck haben, daß der tiefe Graben zwischen Anspruch und Wirklichkeit in dieser Stadt genau hier verläuft, zwischen Siegestor und Münchner Freiheit. Die Leopoldstraße steht dabei wie kaum etwas anderes für den Wahn dieser Stadt, sich als Weltstadt gebärden zu wollen und dabei doch nur Provinz sein zu können. Genauso wie das Schaulaufen der Leute hier immer so gezwungen wirkt, als würde ein Pflichtprogramm abgespult.

Verglichen damit ist Uschi Obermaier die reinste Kür. Sie hat bewiesen, daß von der Leopoldstraße tatsächlich ein Weg dorthin führt, wo das sogenannte wahre Leben spielt. Sie war eine der zahllosen schönen Münchnerinnen, die hier Spaß gesucht haben – und eine der wenigen, die ihn auch gefunden haben. Von hier führten ihre Wege, manchmal auch Umwege, etwa in den Olymp der 68er, in die Berliner Kommune 1. Und von dort in die Illustrierten, die sie dann mit ihrem Freund Rainer Langhans als Bürgerschreck abbildeten. Oder, wenn man so will, in die Arme von Jimi Hendrix, Keith Richards oder Mick Jagger. Und schließlich in den Topanga Canyon zwischen Santa Monica und Malibu, wo sie mittlerweile lebt. Wenn sie heute hierher kommt, fragt man sich, was macht sie dann als erstes?

Natürlich, sagt sie mit einem sehr sommerlichen, sehr münchnerischen Grinsen, werde erst mal alles abgehakt. Erst die Freunde durchtelephoniert, dann die ganzen Schmankerln bestellt. Leberknödelsuppe im Leopold, Leberkäs im Franziskaner. Grüntal, Reitschule, Chinesischer Turm – das ganze Programm. Filmproduzent Bernd Eichinger hat ihr die Wohnung überlassen, solange er nicht in der Stadt ist. Von dort hat sie es nicht weit zum Venezia, und sie genießt es natürlich, daß sie dort auch gleich Leute getroffen hat, die sie kennt. Als sei die Leopoldstraße für sie tatsächlich eine Art Heimat, in der sie immer mit offenen Armen empfangen wird.

Dieses Jahr ist sie schon zum dritten Mal hier, weil Ende September ihre Autobiographie erscheint, die sie zusammen mit Claudius Seidl geschrieben hat und in der sie eine Zwischenbilanz zieht in ihrem Leben, das mittlerweile schon ein Stück Geschichte ist. Auf wundersame Weise war sie immer dort, wo gerade etwas los war, so daß man aus ihrem Leben mehr darüber erfahren kann, wie die letzten dreißig Jahre wirklich waren, als aus den meisten historischen Abhandlungen. Das ist ziemlich viel für jemanden, der eigentlich nur ein bißchen Groupie, ein bißchen Photomodell und ein bißchen Schauspielerin war.

Sie bestellt Kaffee, der Korrespondent auch. Sie öffnet ihr Milchdöschen, der Korrespondent lieber nicht. Er weiß schon warum. Zack. Ihr dunkelgraues Jacket, der schwarze Rock, alles voll. Aber das ist kein Drama. Eitel ist sie wirklich nicht. Selbstbewußt schon. Immer schon gewesen. Nur sie brachte es fertig, in der Kommune 1 bei Diskussionen einzuschlafen: ‚Das war ganz schön konterrevolutionär. Aber ich war halt müde und habe nix verstanden. Ich kannte damals noch nicht einmal den Unterschied zwischen Kapitalismus und Kommunismus und bin nie über die Einleitung von Marx und Mao hinausgekommen. Ich verstand halt nichts davon, aber ich habe es auch zugegeben. Mir wurde dann auch dauernd vorgeworfen, daß ich immer nur Spaß haben will. Aber wenn ich jetzt zurückblicke, stelle ich fest, daß Spaß oder fun haben auch ganz schön harte Arbeit war.‘

Verzückt im Venezia

Sie sagt das einfach so, dabei ist das sehr aufrichtig und sehr ergreifend: Daß eine Frau nach all den Jahren, in denen sie immer nur getan hat, was Spaß macht, ganz nüchtern feststellt, daß auch sie dabei oft genug vom Leben zur Kasse gebeten worden ist. Und sie nennt es schlicht: Arbeit. Vielleicht fühlt sie ja dabei, daß sie auf ihre Art genausoviel für ihren Lebensentwurf tun mußte wie etwa ihre Mutter, die das Glück in ihrem Haushalt in Obersendling gesucht hat. Jeder zahlt seinen Preis, es kommt nur darauf an, mit welcher Haltung.

An ihrer Haltung hat sie nie gezweifelt: ‚Es gab natürlich Zeiten, da hätte ich nur mit dem kleinen Finger zu schnippen brauchen und hätte Sicherheit haben können. Aber dann habe ich mich doch dagegen entschieden und bin lieber wieder ins kalte Wasser gesprungen. Ich will jetzt nicht eitel sein, aber die Leute fragen immer wieder ,wieso schaust du noch so aus‘, und ich kann nur sagen: deswegen. Weil das Leben immer noch frisch ist und immer noch spannend.‘

Wenn sie so redet, dann wirft sie ihre nach wie vor beachtliche Mähne zurück und zeigt beim Lachen jede Menge Zähne. Und der Korrespondent glaubt zu verstehen, warum sie damals von Hendrix bis Jagger fast jeden haben konnte. Weil es doch ziemlich entwaffnend wirkt, wenn in ihrem Gesicht auf einmal ein Lachen zum Vorschein kommt, das gründlich aufräumt mit den Vorstellungen, die man sich aufgrund der schönen, aber auch etwas strengen Bilder von ihr gemacht hat. Und dabei ist sie, was Münchnerinnen gerne sind: ein wenig g’schert. Das kann man zwar nicht übersetzen, läuft aber darauf hinaus, daß die echte Münchnerin bei aller angestrebten Weltläufigkeit nie vergessen lassen kann oder will, wo sie herkommt.

Aus Obersendling zum Beispiel. Aus der Vorstadt also, und das zu einer Zeit, als das noch eine Rolle spielte. Als man noch wie der Monaco Franze ernsthaft Überlegungen anstellen konnte, aus welchem Viertel jemand kommt: ‚Nach Vorort hat’s überhaupt nicht ausgschaut. Für mich hat die eher so ausgschaut wie Innenstadt-Randbezirk. Berg am Laim, Sendling, Harras, Waldfriedhof, Äußere Agnes-Bernauer-Straß vielleicht. Auf jeden Fall nicht Nymphenburg und nicht Schwabing, und Bogenhausen schon gleich gar nicht.‘ Hat also Uschi Obermaier damals wirklich nach Sendling ausgesehen? ‚Jetzt ist das verwischt, aber damals war man wirklich die Vorstadtpflanze. Schwabing war ja die große Welt – gerade für mich. Die Vorstädte waren noch sehr spießig, sehr vermufft. Ich war noch ein Kind, da wollte ich schon nach Schwabing gehen und mich dabei schwarz anziehen. Meine Mutter hat dann gesagt, ich darf mit ihr gehen, aber nur, wenn ich mich nicht schwarz anziehe. Da hat’s natürlich keinen Spaß mehr gemacht.‘

Das konnte Uschi aber auf Dauer nicht davon abhalten, Schwarz zu tragen, Sendling zu verlassen und nach Schwabing in einen Neubau in der Klopstockstraße zu ziehen. Damals war das, was man heute für Schwabing hält, wirklich noch Schwabing: die Mitte der Welt für alle Uschis und auch alle anderen. Und Frau Obermaier sagt nun im Venezia: ‚Wir können mal kurz rausgehen, dann zeig ich dir, wie das alles war.‘ Gut.

‚Da drüben war das Cadore, der absolute Treffpunkt, auch nachmittags schon. Und da neben dem Roxy war das Nest, aber da habe ich mich nicht so aufgehalten, weil da waren die Intellektuellen und die Jazztypen, und ich stand nicht so auf Jazz.‘ Alle paar Meter dreht sie sich wie ein Kreisel, deutet hierhin, dorthin, auf Orte und Menschen, die nur sie sieht und die längst verschwunden sind. Die Fassaden sind noch die gleichen, und doch ist alles anders. Und plötzlich denkt sich der Korrespondent, daß das vielleicht das Geheimnis der Leopoldstraße ist, der Grund, warum die Häuser hier so seltsam unbelebt und die Menschen davor so künstlich lebhaft wirken. Weil alles nur Kulissen sind, in denen tagtäglich ein neuer Film gedreht wird. Mit Tausenden von Statisten, die alle die Aufmerksamkeit des Regisseurs auf sich lenken wollen.

Uschi Obermaier hat es damals geschafft, sie wurde ein Star. Wenn man nun mit ihr die Stätten ihres einstigen Wirkens aufsucht, dann ist das jedoch auch schon wieder ein Stück städtische Archäologie, jene Art von Geschichte, die in keinen Büchern festgehalten ist: ‚Das Big Apple, das war natürlich mein Laden. Da war Jimmy Hendrix, als er noch nicht bekannt war. Und die erste Mädchenband, die Liverbirds. Die Goldies, die Gingerbreads und die Rattles. Und hier war eine Imbißbude, das Picnic, da gingen wir immer hin mit den Musikern, weil die sich auch nichts leisten konnten. Und da, wo jetzt das Adria ist, war das Café Europa, da war mehr die Society. Und dann gab es noch das Blow up mit den Gogo-Tänzerinnen in Käfigen. Und später gab es das Tiffany, da haben wir immer nach der Sperrstunde weitergetrunken auf Kosten des Wirts. Damit haben wir den armen Kerl ruiniert…‘

An allen Ecken lauert die Erinnerung. Die meisten dieser Läden gibt es noch, aber sie heißen anders. Ob sie auch anders sind, ist eine andere Frage, die sich Uschi Obermaier so gar nicht stellt: ‚Was ich erlebt habe, das kannst du auch heute erleben. Du mußt nur auf die Dinge zugehen. Natürlich war das damals eine andere Zeit. Das war wirklich revolutionär, die Musik, die Fashion, die Anschauung. Das gibt’s heute nicht mehr, aber das Lebensgefühl, das kannst du noch haben. Du darfst dir nur nicht ausreden lassen, daß es Märchen gibt.‘

Nimmt man alles in allem, dann war Uschi Obermaier vielleicht nur das richtige Mädchen zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Und irgendwie sieht die Leopoldstraße nicht mehr so aus, als wäre sie heute noch für irgendwen der richtige Ort. Aber da sitzen sie, die Hundertschaften schöner Münchnerinnen aus der ganzen Republik, im Venezia und Adria, Roxy und Babalu, und glauben daran, daß die richtige Zeit auch für sie kommt. Und wenn man sich diesen Sommer ansieht, dann ist sie vielleicht schon da – und wir haben es nur wieder nicht gemerkt.

Ein Star und die Statisten: Zwischen Siegestor und Münchner Freiheit stehen die Kulissen, in denen die einstige Edelkommunardin Uschi Obermaier sich heute noch zu Hause fühlt.

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