28. September 1994 | Süddeutsche Zeitung | Porträt | Marcello Mastroianni

Der Spieler

Marcello Mastroianni wird 70

Sein Geheimnis, heißt es immer wieder, sei seine Gewöhnlichkeit, dieses ganz normale italienische Mannstum. Das ist natürlich, bei allem Respekt für italienische Männer, Unfug. Auch wenn er nur der Sohn eines armen römischen Tischlers ist, und auch wenn Visconti befürchtet haben soll, er werde auf ewig nur Taxifahrer spielen: Marcello Mastroianni ist immer mehr gewesen als der einfache Südländer, der mit seiner italianità spielt. Er hat sich erfunden und erfinden lassen, mitnichten nur als Gockel und Galan, sondern als Mann in beinahe allen Schattierungen. Hinter dem selbstgewissen Äußeren lauert immer noch eine unersättliche Gier nach Verwandlung, die mit dem Alter ihr kindisches Spiel treibt. Die Normalität taugt ihm dabei genauso zur Verkleidung wie die Exzentrik, die Versteinerung so sehr wie die Verweichlichung. Fast 150 Rollen hat der Star gespielt, so viele wie sonst nur Nebendarsteller, und keine einzige in Hollywood. Er hatte Angebote, aber er wollte nicht in einer Umgebung leben, die ihn nichts angeht. Er liebe Europa, hat er gesagt, und diese Liebe wurde auch erwidert, vom Publikum und den besten Filmemachern dieses Kontinents: von Visconti, Fellini, Antonioni, Malle, Ferreri, Scola, Boorman, Polanski, Demy, den Tavianis, Wertmüller, Angelopoulos, Michalkow… Der Schauspieler, sagt Mastroianni, muß wie ein Chamäleon sein: ‚Er setzt sich auf eine Farbe und wechselt seine eigene. Er kann genial sein, aber bleibt immer ein Kind. Ein Schauspieler wird nie das Penicillin erfinden, verstehen Sie?‘ Was Mastroianni geschaffen hat, ist vielleicht kein Penicillin, aber von ähnlich bleibender Wirkung.

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