22. September 1999 | Süddeutsche Zeitung | Porträt | Veit Harlan

Des Teufels Regisseur

Kein Grund zum Feiern: Veit Harlan wäre 100 Jahre alt geworden

Eine deutsche Karriere: 1899 in Berlin geboren, erst Schauspieler, dann Filmregisseur, erst Spezialist für Melodramen, dann der Mann für Propagandafilme, nach dem Krieg als einziger NS-Künstler vor Gericht gestellt, freigesprochen, weiterhin Filmregisseur, 1964 auf Capri gestorben. Des Teufels Regisseur hat man Veit Harlan genannt und seine Filme unter diesem Gesichtspunkt auseinander genommen – damit war der Fall erledigt. Der Gedenktag zum Hundertsten wird daran nichts ändern.

Nochmal zur Erinnerung: Veit Harlan ist der Regisseur des antisemitischen Hetzfilms JUD SÜSS (1940), der den Wachleuten der KZs vorgeführt wurde, und des Durchhaltefilms KOLBERG (1944), der den eingeschlossenen Truppen in La Rochelle gezeigt wurde. Dazu gesellen sich die kaum verschlüsselte Krupp-Biographie DER HERRSCHER, über die Goebbels in sein Tagebuch schrieb: „Modern und nationalsozialistisch. So wie ich mir die Filme wünsche”, und der Fridericus-Rex-Film DER GROSSE KÖNIG, der Hitler so gut gefiel, dass er eine Kopie an Mussolini schickte. Die Begeisterung der Nazis beweist zwar wenig, aber Harlan hat sich darin gesonnt und seinen Teil dazu beigetragen, dass die Auftraggeber zufrieden waren.

Später hat er sich darauf herausgeredet, dass Goebbels Eingriffe vorgenommen habe. Tatsache ist wohl, dass es sich dabei allenfalls um Nuancen gehandelt hat, welche die propagandistische Stoßrichtung nur verstärkt haben. Tatsache ist auch, dass es nichts zu entschuldigen gibt. Harlan war ein willfähriger Helfer, ein verblendeter Künstler, ein Mann, der als Handwerker genau wusste, was er tat, und es als Mensch lieber nicht so genau wissen wollte. Aber die Frage muss erlaubt sein, ob das als Erkenntnisinteresse ausreicht, den Fall Harlan auf diese Weise zu den Akten zu legen.

Entlarvt, enttarnt, entschleiert

Gerade weil die Biographie dieses Künstlers so exemplarisch ist, wie es nicht einmal die von Riefenstahl oder Jünger sind, darf man sich nicht damit begnügen, nur so zu tun, als wären die Zusammenhänge zwischen Leben und Werk und Politik immer klar und einsehbar. Wer Harlan nur als des Teufels Regisseur abtut, der unterstellt, dass es in der Kunst immer nur eine Wahrheit gibt. Wer aus den Filmen nur das Ideologische herausfiltern will, der macht es sich zu einfach. Im Grunde hat – überspitzt gesagt – Goebbels nichts anderes getan.

Wer aber anerkennt, dass jede Geschichte immer mindestens zwei Seiten hat, der wird in dieser Biographie womöglich mehr erkennen als nur jenen Fall, der entlarvt, enttarnt, entschleiert und damit im Grunde schon abgehakt ist. Das ist er eben nicht. Er ist heute so beunruhigend wie damals. Eine Gefahr, die erkannt ist, ist noch lange nicht gebannt, wenn immer nur gesehen wird, was gesehen werden soll. Wenn nicht gefragt wird, warum sich ein erfolgreicher Filmregisseur zum Werkzeug machen ließ. Wenn nicht gezeigt wird, welche verführerische Kraft den Filmen innewohnte, deren Absichten doch so eindeutig gewesen sind. Wenn man nicht untersucht, was an Harlans Werk jenseits der Ideologie spezifisch deutsch sein könnte. So wie die schlimmsten seiner Filme bis heute verboten sind, so scheint es auch verboten, genau hinzusehen.

Natürlich wurde in der Filmwissenschaft auch schon versucht, den Künstler Harlan vor dem Menschen Harlan zu retten, den Melodramatiker vom Propagandisten zu trennen. Das ist einerseits nicht ganz abwegig, weil viele der Strategien, die leichterhand der Ideologie zugerechnet werden, in Wirklichkeit nur den Gesetzen eines Genres folgen, das die Nationalsozialisten nicht gepachtet hatten; das ist andererseits doch zwecklos, weil ausgeklammert werden muss, was nicht wegdiskutiert werden kann. Man muss diesen Widerspruch schon aushalten, muss sich fragen, warum einen fasziniert, was Verblendung ist, warum einen berührt, was nicht berühren darf.

Um den Sieg des Melodrams über die Ideologie aufzuzeigen, wird gerne OPFERGANG genommen, jener Fiebertraum von einem Melodram, den Goebbels ausdrücklich nicht leiden konnte. Man kann leicht nachvollziehen, warum er so empfand. Das Bild, das der Film vom Deutschland des Jahres 1944 zeichnet, ist zu düster, zu ungesund und ausweglos. „Eine dieser Stunden wird deine letzte sein” steht auf der Standuhr im Flur des Hamburger Großbürgerhauses, und auch wenn die Allgegenwart des Todes nicht unbedingt im Widerspruch zur NS-Ideologie steht, trieb es Harlan hier doch buchstäblich zu bunt. Liebe und Tod werden zu den schillerndsten Farben vereint, der Sieg des Lebens bleibt blass.

Natürlich lässt sich OPFERGANG wie Harlans andere Melodramen auch – wie DIE REISE NACH TILSIT, VERWEHTE SPUREN, IMMENSEE, DIE GOLDENE STADT –, ideologisch lesen, indem man in diesen Filmen immer das eine gegen das andere ausgespielt sieht: Heimat gegen Fremde, Ehefrau gegen Verführerin, Stadt gegen Natur, Freiheit gegen Staatsräson, Todessehnsucht gegen Lebenswut. Wobei jedesmal zu streiten wäre, ob nicht unabhängig vom Ausgang das jeweils Andere, Fremde, der Ideologie zuwiderlaufende die größere Faszination ausübt. Mag ja sein, dass die heile Welt immer nur zum Schein auf die Probe gestellt wird, um ihr am Ende einen sicheren Sieg zu bescheren – sicher ist, dass diese Welt am Ende nicht mehr dieselbe ist, dass der Sieg des einen immer leichter wiegt als die Niederlage des anderen. Man muss das nicht gleich für subtile Unterwanderung halten – es liegt einfach in der Natur des Melodrams, ins dunkle Herz der Dinge zu blicken. Oder, wie es Karsten Witte formuliert hat: „Das Melodram bindet die Gefühle schweifender Sehnsucht an den Fatalismus. ” Diese Schicksalsergebenheit ist wiederum eine Regung, die Menschen in totalitären Systemen nicht ganz fremd sein dürfte.

In diesem dumpfen Toben des Geschicks einen Anknüpfungspunkt zu finden, ist nicht so schwierig: Sich der Gewalt dieser Geschichten hinzugeben und sich von allen Hintergedanken freizumachen, geht ohnehin einher mit den tiefsten Sehnsüchten des Zuschauers. Etwas anderes ist es, sich den Emotionen zu stellen, die jene Filme freisetzen, die offen dem Führerprinzip oder dem Geniekult huldigen, wie DER HERRSCHER, DAS UNSTERBLICHE HERZ oder DER GROSSE KÖNIG. Auf irritierende Weise rühren diese Filme an Stellen, an die andere Filme nicht heranreichen. Wenn der Industrie-Magnat durch seine dampfende Fabrik streicht; wenn sich Friedrich der Große im Dom seiner Einsamkeit hingibt; oder wenn der Uhrmacher Henlein durchs alte Nürnberg streift – dann kommt einem das vertrauter vor als ähnliche Szenen in amerikanischen Filmen. Womöglich ist das nur eine Sache der Topographie – die dampfenden Kessel, der hohe Dom, die zusammengedrängten Häuschen –, die auch dann Heimat bedeuten, wenn sich der Verstand dagegen sträubt. Vielleicht wird man davon mehr geprägt, als einem lieb ist. Und wenn es nur das ist: Harlan hatte das Geschick, solche unterschwelligen Gefühle in Bildern zur Atmosphäre zu verdichten, die sich im Gedächtnis festsetzen. Weil die Nazis das ähnlich sahen, haben sie sich des Mannes bedient. Und er erwies sich als williger Diener.

Warum er das getan hat, wird man nicht erfahren. Man kann allenfalls aus den Bildern einsamer Männer, die unter der Last ihrer vermeintlichen Größe leiden, erahnen, dass nicht nur Hitler und Goebbels sich in dieser Pose gefallen haben, sondern auch Harlan. Das Ausnahmetalent, der Vorzeigekünstler, der die Kinomaschinerie so spielend beherrschte, dass er sich auch dem Spiel mit der Macht gewachsen glaubte. So seiner Kunst und Kunstfertigkeit hingegeben, dass er glaubte, mutwillig die Augen vor der schrecklichen Wahrheit verschließen zu können. So oder so kann die Aufgabe nur heißen: Nicht Antworten geben, sondern Fragen stellen. An Harlan, an seine Filme, an die deutsche Geschichte, an unsere Gegenwart. Ein Narr, wer dieses Schicksal für Zufall hält.

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