02. April 1994 | Süddeutsche Zeitung | Porträt | Alec Guinness

Adel verpflichtet

Wenn man sich das Gesicht eines Schauspielers nicht merken kann, dann hat er entweder kein Talent oder ist ein ganz großer Künstler. Sir Alec Guinness hat eine Kunst daraus gemacht, ein Mann ohne Eigenschaften zu sein. Er brauchte nicht einmal Masken, um sein Gesicht völlig unkenntlich zu machen. Und er schaffte es auch ohne große Gesten und Grimassen, seinen Figuren Ausdruck zu verleihen. In seinem leisen Lächeln lagen Harmlosigkeit und Haltlosigkeit immer gefährlich nah beisammen; es konnte aus ihm einen Mönch oder einen Mörder machen. Diese Fähigkeiten hat Guinness auch in jeder Richtung ausgekostet: In historischen Figuren wie Marc Aurel oder Prinz Feisal, Hitler oder Papst Innozenz III. Und in den anderen Kunstfiguren, die das britische Empire noch einmal in seiner ganzen Vielfalt durchdeklinierten: Pater Brown und Agent Smiley, Professor Marcus und Colonel Nicholson, unser Mann in Havanna und der im weißen Anzug. Für einen Mann ohne Gesicht hat Alec Guinness ziemlich vielen bekannten Figuren ein Gesicht verliehen. Aber nirgends schien er daran soviel Spaß zu haben wie in KIND HEARTS AND CORONETS, wo er nicht nur Ascoyne d’Ascoyne spielte, sondern auch noch dessen acht Vorfahren, unter denen sich auch eine Lady befand. Adel verpflichtet in England eben zu jenem besonderen britischen Humor, der Sir Alec auch in den nächsten achtzig Jahren nicht verlassen möge.

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