01. Juli 1989 | Tempo | Porträt | Sam Fuller

UNCLE SAM

Eine amerikanische Legende: In den 50er Jahren drehte Samuel Fuller einige der berühmtesten Western, später zehrte er vor allem von seinem Ruhm. Jetzt feiert der Hollywood-Veteran ein Comeback: mit 76 Jahren und seinem neuen Film, STRASSE OHNE WIEDERKEHR.

Vor den Fenstern der Pariser Filmstudios von Billancourt fließt friedlich die Seine vorbei, drinnen herrscht Krieg. Das Tischtuch ist die französische Kanalküste, der Salzstreuer ist ein deutscher Befestigungsbunker, die Baguettebrösel sind Landungsschiffe. Mit der Gabel wird der Atlantikwall gestürmt, Welle um Welle.

Der Filmregisseur Samuel Fuller war 1944 bei der alliierten Invasion in der Normandie dabei. Jetzt ist er Angreifer und Verteidiger in einem, US-Sergeant und Nazi-Offizier. Um das Mündungsfeuer der Wehrmacht zu dirigieren, steht er vom Tisch auf und beschwört mit seiner erloschenen Zigarre Himmel und Hölle herauf. Hinterher kann man sagen, man sei dabei gewesen, denn der Mann ist D-Day himself.

Fuller interviewt man nicht, hat es mal geheißen, sondern man drückt auf einen Knopf, und der Autopilot schaltet sich ein. Verdammt wahr. Der Mann ist nicht zu bremsen. Nach seiner detaillierten Kriegsschilderung fühlt man sich, als wäre die gesamte US-Infanterie über einen hinweggerollt. Danach ist man reif für den Fronturlaub.

„Ein Film ist wie ein Schlachtfeld. Liebe, Action, Haß, Gewalt. Mit einem Wort: Gefühl“, sagte Fuller vor knapp 25 Jahren in dem Film PIERROT LE FOU von Jean-Luc Godard. Da stand er mit dunkler Brille und Zigarre zwischen zwei barbusigen Miezen auf einer Party herum und mimte den großen Hollywood-Regisseur. Er sah aus wie seine Filme: schnell und klar. Kein Zweifel, so mußten sie sein, die Kerle aus der harten Schule Hollywoods.

Fuller macht keine halben Sachen, sondern Schlagzeilenkino. 23 Western, Kriegs- und Kriminalfilme hat er in den vergangenen 40 Jahren gedreht, darunter die Klassiker ICH ERSCHOSS JESSE JAMES, POLIZEI GREIFT EIN, VIERZIG GEWEHRE und SCHOCK-KORRIDOR. Fuller ist der Vertreter des amerikanischen Kinos der 50er Jahre. Seine Filme sind voller Gewalt, sein Kino ist exotisch und neurotisch.

Anfang der 60er Jahre war Fullers Hollywood-Karriere vorerst beendet. Nur noch selten drehte er eigene Filme, ansonsten rettete er sich als Romanautor, Regisseur von TV-Serien und mit Gastauftritten in Filmen befreundeter Regisseure über die Runden. So war er in drei Wenders-Filmen und in Steven Spielbergs „1941″ zu sehen.

Erst jetzt erlebt der Klassiker sein Comeback: Im Juli kommt STRASSE OHNE WIEDERKEHR in die Kinos, einen anderen Film schneidet er noch, und ein dritter ist schon in Vorbereitung. Dabei ist er immerhin schon 76 Jahre alt. Aber noch immer redet er jeden Jüngeren problemlos unter den Tisch.

Fuller ist vielleicht ein hemmungsloser Selbstdarsteller, aber er liebt seine Geschichten viel zu sehr, als daß er sie durch Eitelkeit verdürbe. Natürlich ist er überall selbst dabei gewesen, natürlich ist er immer der Mittelpunkt. Aber daß es ihm auch noch um etwas anderes geht, merkt man daran, daß er selten abschweift, kaum je den Faden verliert.
Nichts entgeht ihm, alles behält er im Griff- außer seiner Zigarre, die während des Gesprächs immer wieder ausgeht, angezündet wird und wieder ausgeht. Er benutzt sie ohnehin mehr als Satzzeichen, unterstreicht mal oder unterbricht. Ansonsten steckt sie im Mundwinkel und verliert zusehends an Form, je heftiger Fuller an ihr vorbei seine Geschichten herauskaut. Und je länger man zuhört, desto mehr fühlt man sich selber wie diese Zigarre.

Man merkt, daß Fuller früher Polizeireporter war. Schon mit 17 schrieb er für das Revolverblatt „New York Evening Graphic“. Da hat er gelernt, wie man Storys griffig macht, wie man sie aufmacht und wie man einsteigt. Egal, ob es sich um die Todesstrafe, um künstliche Befruchtung oder um Kosmetik handelt, Fuller findet immer einen Dreh, das Thema an den Mann zu bringen. Was man erzählt, sagt er, ist nicht so wichtig. Hauptsache, es ist neu und auf den Punkt gebracht.

Er sagt aber auch: „Storys sind alles.“ Irgendwo dazwischen liegt sein Kino. An dem Roman „Straße ohne Wiederkehr“ seines alten Freundes David Goodis, den er nur als Drehbuch, nicht im Original gelesen hatte, habe ihn nicht die Geschichte des heruntergekommenen Sängers Michael, dem man den Kehlkopf zerschnitten hat, interessiert, sondern das große Geld, mit dem Michaels Nebenbuhler Eddie ein Stadtviertel unter Kontrolle bringen will.

„Rrrrreal! Big! Mmmmoney!“ kräht Fuller vor Vergnügen und packt den Interviewer am Handgelenk, damit er merkt, wovon die Rede ist, bevor er dumpf grollend das Unheil heraufbeschwört. Da ist der feurige alte Mann nicht mehr zu halten. Interviews sind wie Schlachten.

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