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24. April 1986 | Süddeutsche Zeitung | Nachruf | Otto Preminger

Der letzte Preuße Hollywoods

Filmregisseur Otto Preminger ist im Alter von 79 Jahren gestorben

Er wurde am 5. Dezember 1906 in Wien geboren, aber man hat ihn in Amerika den „letzten Preußen Hollywoods“ genannt. Er war Jude und hat in den Vierzigern Nazi gespielt Widersprüche haben Otto Preminger nie gestört „Es gehört zu meiner Philosophie, daß ich mich nicht darum kümmere, was andere Leute über mich sagen.“ Darum waren ihm die Kinobesucher immer wichtiger als die Kritiker, die sich rächte, indem sie schrieben, seine Filme spielten auf dem intellektuellen Niveau des „Reader’s Digest“. Was er wiederum vermutlich als Lob betrachtet hat, denn das Populäre war ihm nie suspekt.

Preminger war gerngesehener, weil gesprächiger Gast in Talk-Shows, hat in seiner Autobiographie hemmungslos Klatsch und Tratsch verbreitet und stand monomanisch gern im Mittelpunkt. Seine gewaltigen Streitereien mit dem Produzenten Sam Goldwyn sind Legende geworden. Was auch dazu führte, daß er später selbst als Produzent tätig wurde.

Vor allem hatte er da dann die völlige Kontrolle über seine Filme, mußte sich von niemandem mehr dreinreden lassen. Denn Preminger war ein Genauigkeitsfanatiker, ein Perfektionist der Schlamperei und Unordnung haßte. Was ihm natürlich ständig Ärger mit den Stars und ihren Allüren einbrachte. Seine Wutausbrüche waren gefürchtet unter Schauspielern galt er als Despot und Tyrann. Und trotzdem hat er wie kaum ein anderer das Beste aus ihnen herausgeholt. Das hatte er auf dem Theater gelernt schließlich war er Max Reinhardts Nachfolger als Direktor des Theaters in der Josefstadt Auch als er 1935 über England nach New York kam, war er bis zu seinem Filmdebüt 1944 als Regisseur am Broadway und als Schauspieler tätig. Bezeichnend ist eine Episode, die Francois Truffaut beschrieb: Daß sich Preminger bei der Verfilmung von BONJOUR TRISTESSE weniger die Frage stellte, ob Jean Seberg eine würdige Cecile sein würde, sondern ob die Cecile es wert sei, von Jean Seberg verkörpert zu werden. In demselben Artikel findet sich Truffauts berühmter Satz über die Arbeit des Regisseurs, die darin besteht hübsche Frauen hübsche Dinge machen zu lassen.

Ein Satz, der für den als „Frauenfilmer“ bekannten Preminger in besonderem Maße zutrifft. Die Frauenfiguren seiner Filme werden die Zeit überdauern, haben sich jetzt schon ins Gedächtnis eingegraben. Ob Gene Tierney in LAURA oder WHERE THE SIDEWALK ENDS, Linda Darneil in FALLEN ANGEL oder Jean Simmons in AANGEL FACE, alle waren sie Engelsgesichter, unter deren Schönheit sich Abgründe auftun, in die die Männer blindlings hinabstürzen. Am Ende hoffen sie alle, das Ganze möge wie ein schlechter Traum endlich aufhören. Liebe heißt in diesen düsteren Filmen: Hoffnung oder Enttäuschung, Ekstase oder Verrat immer jedoch Abhängigkeit voneinander, so oder so. Es geht bei Preminger um Schein und Bilder, die den Blidk verschleiern; was dazu führt, dass die Figuren nicht mehr sehen, wo sie hintreten.

Typische Preminger-Filme gibt es nicht, denn er hat sich in allen Genres betätigt. Neben dem erwähnten Film Noir, hat er Kostümfilme (FOREVER AMBER) gedreht Western (RIVER OF NO RETURN) oder Musicals (CARMEN JONES und PORGY AND BESS) gemacht hat sich mit politischen (EXODUS) oder religiösen (DER KARDINAL) Fragen oder mit Drogenproblemen (DER MANN MIT DEM GOLDENEN ARM) befaßt. Erst die Nouvelle Vague hat in dieser handwerklich perfekten Uneinheitlichkeit ein Gesamtwerk entdeckt. Rivette nannte Preminger einen Meister der „mise-en-scene“ und Godard bezeichnete AUSSER ATEM als Fortsetzung von Jean Sebergs Rolle in BONJOUR TRISTESSE. Man nannte Preminger auch den Regisseur der Kamerafahrt der dem Zuschauer die Chance ließ, sozusagen mit der Kamera am Ort des Geschehens anzukommen, um sich dort dann selbst ein Urteil zu bilden. Moralische Anhaltspunkte muß man sich darin selber suchen, so wie die Personen in diesen Filmen nach Fixpunkten, nach ihrer Identität suchen. Der Fanatismus, mit dem sie das tun, die mörderische Bereitschaft zur Selbstzerstörung, verbindet sie alle.

Otto Preminger war auch ein Fanatiker: „Jch spiele nicht Golf. Ich sammle keine Briefmarken. Filme machen – das ist mein ganzer Lebensinhalt.“ Gestern Nacht ist Preminger in seiner Wohnung in Manhattan im Alter von 79 Jahren an Krebs gestorben.

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