20. Juli 1987 | Süddeutsche Zeitung | Nachruf | Jörg Fauser

Schnüffler in den Städten

Zum Tod des Schriftstellers Jörg Fauser

Um 23.41 Uhr so meldete die Berufsfeuerwehr am Freitag habe eine offensichtlich geistig verwirrte Frau ihren Fernseher aus dem vierten Stock geworfen. Direkt darunter heißt es im Pressebericht lapidar: „04.20 Uhr, A 94, Fahrtrichtung München: In der Höhe der Anschlußstelle Feldkirchen wurde ein Fußgänger von einem Lkw erfasst. Der Feuerwehr-Notarzt Ost konnte nur noch den Tod des 43jährigen Mannes bestätigen.“

So hören Geschichten auf, so fangen Geschichten an. Jörg Fauser hätte so einsteigen können, hätte vielleicht in die nüchternen Fakten seine Fiktion eingehakt und dem Schicksal des Fußgängers nachgespürt. Nur diesmal war es sein eigenes. Es hat ihn erwischt, wie er es in seinem Buch „Der Schneemann“ beschrieben hatte: „Einmal die heiße Sonne sehen und wenn die Rechnung kommt, dann bitte mit allen Stempeln und dem großen Bäng.“

Fauser schrieb Essays und Kommentare, Gedichte, Erzählungen und Kriminalromane. „Der Schneemann“ (1981) und „Das Schlangenmaul“ (1985) gehören zu den besten des Genres. Mit ihnen kam Fauser dem amerikanischen Krimi so nahe, wie das einem Deutschen nur möglich ist. Durch harte Recherche und genaue Beobachtung verlieh er ihnen etwas, was hierzulande nicht eben oft vorkommt: Authentizität und Realismus. Man ist als Leser keineswegs nur auf den Ausgang des Plots gespannt, sondern wird interessiert für Details, für den Alltag und seine Abläufe, für den Untergrund und seine Gesetze. Da wußte einer, wovon er schrieb. Und er schrieb es knapp und karg, schnell und flüssig, so realistisch, wie es hardboiled fiction eben zulässt.

Dass aus dem „Schneemann“ auch ein guter Film wurde, war kein Zufall. In seiner konkreten Sprache hatte sich der Blick vom Erzähler getrennt, und die Außenwelt konnte nachfließen, ihre eigenen Geschichten erzählen. Mit „Szene“ hatte das nur für die zu tun, die die Realität ihrer Städte ignorieren. Fauser war Berlin als Dschungel dunkler Machenschaften gut genug, und München galt ihm zwar eher als dröges Pflaster, aber auch dort lagen die miesen Geschäfte und guten Geschichten auf der Straße. Die heißen Storys, so viel war klar, fangen an, wenn man die Zeitung aufschlägt.

Wenn man Fauser nachts in der Bar sah, war er meistens dicht. Das ist bei einem, der immer wieder über seine Liebe zu Hemingway, Chandler oder Joseph Roth schrieb, keine Schande. Im Gegenteil. In die Kluft zwischen den amerikanischen Mythen und der deutschen Sehnsucht passen ein Haufen Drinks. Fausers Helden Harder, Bum oder Harry Lipschitz taten es ihm gleich. Drogen, Alkohol und eine klug beredte Begeisterung für die Krimiautoren Chester Himes, Mikey Spillane, Eric Ambler und James Hadley Chase. So lakonisch sie alle auftreten mögen, so schmerzhaft bohrt doch die Erkenntnis in ihnen, dass es schwer ist, in der BRD den hartgesottenen Schnüffler zu spielen.

Fauser hat diese Trauer eingefangen wie kein zweiter: In den Bahnhofshallen und an Stehausschänekn, bei Nutten und unter Spielern. Bei Faulkner heißt es einmal: „Ich musste durch Unrat und Dreck kriechen, Schmutz und Mist, aber dadurch fand ich Schönheit und Wahrheit, wo ich sie nie vermutet hätte.“ Dort vermischen sich bei ihm E- und U-Kultur, deren Trennung ihm immer ein Greuel war. Er hat die Literatur als Gebauchsgegenstand so ernst genommen, wie sie es verdient. Er hat unser eher trägen Sprache Tempo abgetrotzt, sie beschleunigt, um im rechten Moment innezuhalten für eine schöne kleine Geste: Am Ende zerreißt Harder in „Das Schlangenmaul“ den Scheck, den er so nötig hätte und der zwei Tote gekostet hat, vor den Augen des Steuerfahnders. Der harte Bursche war halt doch ein sentimentaler Hund.

Der letzte Satz seines letzten Buches „Kant“ lautet: „Die längsten Reisen fangen an, wenn es auf den Straßen dunkel wird.“ Es wurde gerade hell auf der A 94. Jör Fauser hatte vorher in der Bar noch seinen 43. Geburstag gefeiert.

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