11. März 1994 | Süddeutsche Zeitung | Nachruf | Charles Bukowski

Der Sturz ins Leben

Zum Tod des großen Erzählers Charles Bukowski

Erste Sätze waren sein Ding. Etwa so: „Ich war 50 und hatte seit vier Jahren keine Frau mehr im Bett gehabt.“ Das ist schon ein verdammter guter Einstieg, um Leser bei der Stange zu halten. Besonders wenn sie jung sind, vom Leben träumen und wissen wollen, was ihnen blüht. Bis 50 konnte man kaum denken, aber offenbar schien sich bis dahin nicht viel zu ändern. Das war auch irgendwie tröstlich.

In Bukowskis Büchern gab es etwas, was anderswo nicht stattfand: Leben. Oder zumindest das, was man dafür hält, wenn man in der Schule sitzt und denkt, daß eigentlich alles ganz anders sein müßte. Und es gehörte selbstverständlich dazu, so zu tun, als wüßte man, wovon da eigentlich die Rede ist: Sex und Suff und das ganze andere Zeug. Kaum zu glauben, wie das Leben sein konnte, wenn es nur wollte.

Charles Bukowski war der ideale Schriftsteller für pubertierende Jungs, die eigentlich anderes im Kopf hatten als Bücher. Darüber wurde leicht übersehen, daß es sich bei ihm um einen wirklich großen Erzähler handelte, in einer Liga mit Leuten wie Hemingway oder Henry Miller. Wer es nicht glaubt, sollte mal „Ham on Rye“ lesen, zu deutsch: „Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend“.

Der Preis des Alkohols

Daß er sich auch selbst für einen der größten Dichter der Welt hielt, daraus machte er so wenig ein Hehl wie sein Alter Ego Henry Chinaski. In dieser Sache ging er die Literatur mit einem gesunden sportlichen Ehrgeiz an. Nachdem er in seiner Jugend die La Cienega Public Library entdeckt hatte, las er sich quer durch die Weltliteratur. Die Russen gefielen ihm, „Tschechow und diese Boys“, die zeitgenössischen Amerikaner jedoch entsetzten ihn: „Man sah einfach nicht, wo es bei denen lang ging. Da konnte es in einem Gedicht meinetwegen darum gehen, daß jemand die Fresse poliert kriegt, aber der Poet rückte nicht damit raus. Man mußte das Scheißding erst 18 mal durchackern, bis man halbwegs dahinter kam. Also was Lyrik und Prosa anging, da rechnete ich mir durchaus eine Chance aus. Nicht daß ich besonders gut war, aber die anderen waren einfach so gottverdammt schlecht.“

Das ist kein schlechter Ansatz, um mit dem Schreiben zu beginnen. So legte er los und schrieb, wie ihm der Schnabel gewachsen war. Aber man darf sich von dieser Leichtigkeit nicht täuschen lassen: Daß es sich dabei um eine besondere Kunst handelt, sieht man schon daran, daß sie nur von so wenigen beherrscht wird. Man muß sich nur mal überlegen, was deutsche Autoren aus Bukowskis Themen machen würden: Arbeitslosigkeit, Alkoholismus, Beziehungsprobleme. Aber für sein Talent hat Bukowski einen hohen Preis zahlen müssen. Er mußte erst ganz unten ankommen, um sich seine Welt erschaffen zu können.

1920 ist er als Sohn einer deutschen Mutter und eines amerikanischen GI in Andernach am Rhein geboren worden, aufgewachsen ist er jedoch in Los Angeles. Davon erzählt er in ‚Ham on Rye‘, diesem Porträt einer Jugend, die sich einfach nie in das Bild fügen will, das man sich von ihr macht. Die Schläge des Vaters, die Akne am Körper, die Leere im Herzen, all das bringt er ohne Larmoyanz oder falsche Nostalgie auf den Punkt: „Zu mir fühlte sich immer nur der Klassendepp hingezogen, der verkorkste Typ, der schielte und sonderbare Klamotten anhatte und immer in die Hundescheiße trat. Ich hatte irgendwie eine Abneigung gegen ihn, aber am Ende ging es dann immer so aus, daß er mein Kumpel wurde. Und dann hockten wir zusammen da und fraßen unsere jämmerlichen Erdnußbutter-Stullen und sahen den anderen bei ihren Spielen zu.“

Den Problemen der Jugend, mit dem Körper, den Gefühlen und der Welt, begegnete er, indem er sich ins Leben stürzte oder in das, was es für ihn bereit hielt: Tankwart, Nachtportier, Hafenarbeiter, Leichenwäscher. Mit 35 war er beinahe tot. Da lag er mit einer Magenblutung im Los Angeles County Hospital und bekam gesagt, daß sein nächster Schluck Alkohol der letzte sein würde. Bukowski arbeitete nach seiner Entlassung nachts als Briefsortierer im Hauptpostamt und wenn er dann in den frühen Morgenstunden heimkam, suchte er einen Sender mit klassischer Musik, stellte zwei Sixpacks und eine Flasche Whisky auf den Tisch und setzte sich an die Schreibmaschine. So schrieb er: Gedichte und Geschichten aus einem Los Angeles, in dem die Engel einen dicken Hintern hatten und die Sonne Lichtjahre entfernt schien. Und dazu hörte er Beethoven oder Haydn oder was sonst so lief.

Bukowski wurde gedruckt und erwarb sich schnell einen Ruf als Underground- Poet, aber erst 1970 wagte er es, seinen Job bei der Post zu kündigen. Da schrieb er „Post Office“ („Der Mann mit der Ledertasche“), einen Klassiker aus der Welt der Arbeit, in dem man findet, was dieser Art von Literatur bei uns abgeht. Vielleicht ist er deshalb in Deutschland noch berühmter geworden als anderswo.

Charles Bukowski hat Schönheit gefunden, wo sie keiner vermutet hat und wo die meisten noch nicht einmal danach suchen würden. Vorgestern ist er mit 73 Jahren gestorben: „Dann zog ich mich aus, ging ins Badezimmer, pinkelte, putzte mir die Zähne, knipste das Licht aus, ging rüber zum Bett, legte mich rein und schlief.“ Letzte Sätze beherrschte er auch wie kein Zweiter.

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