13. März 1992 | Süddeutsche Zeitung | Nachruf | Richard Brooks

Alle Wege führen in die Hölle

Zum Tod von Richard Brooks

‚Seit Jahren schon platzt das Kino vor Intelligenz und Subtilität aus allen Nähten‘, schrieb Jacques Rivette 1955: „Atmen Sie auch diesen Hauch frischer Luft, der uns von Übersee erreicht.“ Damit meinte er namentlich Anthony Mann, Nicholas Ray, Robert Aldrich und Richard Brooks, vier Naive, deren erste Tugend die Gewalttätigkeit sei. Und auch ein Zeitalter später entdeckte Godard bei Brooks noch das Erbe der großen amerikanischen Primitiven, ‚das direkte und physische Erfassen des Realen‘. Das sollte man sich zu Herzen nehmen, weil Richard Brooks‘ Filme zwischenzeitlich als Thesenkino in Verruf geraten sind. Dabei hat er nur die Lektion beherzigt, die der Deutsche Karl Freund ihm einst mit auf den Weg gegeben hatte: „Get to the fucking point!“

Fiktionen und Fakten

Richard Brooks, 1912 in Philadelphia geboren, hatte als Journalist gearbeitet, dann als Autor, ehe er zum Film kam. Was das heißt, illustriert eine Episode vor seiner Zeit als Regisseur, als er Hemingways Kurzgeschichte „The Killers“, die im Grunde keine Geschichte hat, bearbeiten sollte. Brooks wälzte kurzerhand einige Zeitungen, bis er die Geschichte vom Überfall auf eine Eisfabrik fand. Er schrieb einen dreißigseitigen Entwurf, und Robert Siodmak machte später einen Film daraus.

Fiktionen und Fakten gingen bei Brooks immer Hand in Hand. Nicht umsonst ist KALTBLÜTIG, die Verfilmung von Truman Capotes Tatsachenroman, sein konzentriertester Film. Dabei interessierten ihn die Geschichten hinter den Schlagzeilen, die Befunde waren ohnehin klar. Um der Welt auf den Grund zu kommen, mußte er die Geschichten auf die Spitze treiben, auf den Punkt, wo die Vernunft nicht mehr hinreicht: Wenn der Ehrgeiz umschlägt in Erniedrigung, wenn die Gier sich verwandelt in Demütigung. Wenn am Ende von DIE LETZTE JAGD der Morgen anbricht, findet die Kamera den nächtlichen Belagerer Robert Taylor, dessen Schönheit hier in Gier versteinert ist, buchstäblich zu Eis erstarrt. Dazu paßt Burt Lancasters letzter Satz in ELMER GANTRY, den Brooks aus Zensurgründen herausschneiden mußte. Er lautete: „See you in hell, brother.“

Alle Wege führen bei Brooks in die Hölle. Sein Lieblingsprojekt war lange Jahre LA CONDITION HUMAINE. Die Beschaffenheit des Menschen hat er geradezu pervertiert, nicht um ihr griffige Thesen abzugewinnen, sondern um den Zusammenbruch zu beschleunigen. Er hat die Kräfte freigelegt, die in seinen Geschichten toben: die selbstzerstörerischen Energien von DIE SAAT DER GEWALT (1955) bis AUF DER SUCHE NACH MR. GOODBAR (1977), die Korruption von ELMER GANTRY (1960) bis FLAMMEN AM HORIZONT (1981).

Rhythmus des Untergangs

Selbst seine Literaturverfilmungen KATZE AUF DEM HEISSEN BLECHDACH oder SÜSSER VOGEL JUGEND, LORD JIM oder DIE BRÜDER KARAMASOW wirken fiebriger und roher als vergleichbare Projekte in Hollywood. Es gibt einen Rhythmus, der sie dem Untergang zutreibt, und der seinen Höhepunkt findet in Diane Keatons Tod im flackernden Stroboskop-Licht in MR. GOODBAR .

THE PROFESSIONALS heißt einer seiner schönsten Filme. Profi sein, das bedeutet bei ihm, daß man seine Illusionen verkauft hat, nicht aber die Moral. Auch im Tod kann man seine Würde bewahren. In einem Gespräch mit Bogdanovich erzählte Brooks: ‚Ein paar Wochen vor seinem Tod besuchte ich Bogart und traf ihn wie gewöhnlich mit einem Drink in der Hand an. Nach einer Weile bekam er einen schrecklichen Hustenanfall und begann Blut zu spucken. Es war schrecklich mit anzusehen. Ich stand auf und wollte das Zimmer verlassen, bis es vorbei war. Da schaute Bogie zu mir auf und sagte: „Was ist los, Dick, kannst du’s nicht vertragen?“ Gestern ist Richard Brooks in Beverly Hills gestorben.

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