11. Februar 1999 | Süddeutsche Zeitung | Kommentar | Das Kapital des deutschen Films

Das Kapital des deutschen Films

Mit dem deutschen Film ist es wie mit dem Fußball: Schießt die eigene Mannschaft in der letzten Minute das Siegtor, dann hat der Trainer alles richtig gemacht. Fällt es aber für den Gegner, war alles falsch. Dabei ist es oft nur eine Frage von Zentimetern, ob der Ball im Tor landet oder daneben.

Beim deutschen Film dreht es sich zwar nicht um Zentimeter, sondern um Millionen, aber der Reflex, mit dem darauf reagiert wird, ist der gleiche: Es geht jedesmal gleich ums Ganze. Wird JENSEITS DER STILLE – wie letztes Jahr geschehen – für den Oscar nominiert, dann sind wir wieder wer im Weltfilmgeschäft. Wird LOLA RENNT – wie gestern gemeldet – nicht nominiert, dann steht es schlecht ums deutsche Kino. Dabei sind die alten Herren im Auswahl-Komitee für den Auslands-Oscar alles andere als repräsentativ fürs zahlende Publikum.

Ähnlich liegt der Fall, wenn die großen Filmfestivals in Cannes und Venedig ihr Programm bekannt geben. Wieder kein deutscher Film: Katastrophe! Dabei ging es dem deutschen Film, als einst Wenders, Schlöndorff, Trotta, Herzog und Fassbinder reihenweise große Festivalpreise einheimsten, keinen Deut besser – zumindest nicht finanziell.

Gerade hat die Filmförderungsanstalt ihre Zahlen fürs vergangene Jahr veröffentlicht und festgestellt, daß sich der Marktanteil des deutschen Films nahezu halbiert hat. Die Besucherzahlen, der Umsatz und die Zahl der Kinos ist gestiegen, aber der deutsche Film spielt nur noch neuneinhalb Prozent des hierzulande erzielten Umsatzes von 1,6 Milliarden Mark ein – und das entspricht bei aller Liebe dem, was man seinen künstlerischen Stellenwert nennen könnte. Nun ist das, was die Kritik rühmt, und das, was das Publikum liebt, nur selten das gleiche. Auf Dauer schafft es nur Hollywood, beides zu vereinen: Attraktivität und Kreativität, Innovation und Entertainment. Auch wenn das deutsche Kino da nie wird mithalten können – es hört nicht auf, davon zu träumen, daß dieser Spagat irgendwie zu bewerkstelligen sei.

Neuerdings gibt es allerdings einen Kulturminister, den an der deutschen Kultur naturgemäß auch die Standortfrage interessiert. Also meldet er sich zu Beginn der Berliner Filmfestspiele, die zur Abwechslung mit einem deutschen Film eröffnen, zu Wort. Alles, so Michael Naumann, schnurre auf die Frage zusammen, „wer uns in Deutschland höheres Risikokapital zur Verfügung stellt, damit wir an eine Filmtradition anknüpfen können, die einmal Weltmaßstäbe gesetzt hat”. Nur war das leider nicht gestern oder vorgestern, sondern vor gut siebzig Jahren, als die Filme noch stumm waren und es den Amerikanern egal sein konnte, ob METROPOLIS aus Deutschland oder sonstwoher kam. Naumanns Problem ist die Erfindung des Tonfilms: Seither kämpft der deutsche Film gegen die Sprachbarrieren an.

Im übrigen: Schon damals erlagen große deutsche Regisseure dem Lockruf des Geldes: Lubitsch, Murnau, Sternberg sind aus freien Stücken nach Hollywood gegangen, Fritz Lang und andere Exilanten flohen dorthin. An diese Tradition wenigstens kann der deutsche Film locker anknüpfen, denn auch heute setzen deutsche Regisseure in Amerika „Weltmaßstäbe”: Wolfgang Petersen ist beim deutschen Fernsehen groß geworden, und Roland Emmerich wurde an der Münchner Filmhochschule ausgebildet; auch Kameramänner wie Michael Ballhaus oder Komponisten wie Hans Zimmer reüssieren in Hollywood. Es fehlt nicht an Talenten, doch wer Talent hat, wird über kurz oder lang in Amerika arbeiten. So viel Risikokapital kann Naumann gar nicht herbeireden, daß sich daran je etwas ändern würde.

Andererseits hat der Kulturminister sicher recht, wenn er den Provinzialismus der Filmförderung beklagt, wo zwischen den Bundesländern ein absurder Konkurrenzkampf um Namen und Projekte entstanden ist. Das Gerangel gipfelt darin, daß die Exportunion des deutschen Films auf den großen Festivals Projekte in ihren Listen führt, in denen zwar deutsche Fördergelder stecken, die aber sonst mit Deutschland nicht viel zu tun haben. Wenn man sich also der Filme des Briten Ken Loach oder des Franzosen Leos Carax rühmt, weil Teile davon in Deutschland gedreht oder mit deutschem Personal ausgestattet wurden, dann bringt das vielleicht den europäischen, aber ganz sicher nicht den deutschen Film weiter.

In Europa mögen die Grenzen gefallen sein, aber fürs Kino bestehen sie nach wie vor. Ein deutscher Film wird seine Kosten immer nur in Deutschland einspielen können – und Budgets wie Hollywood nützen dabei schon deswegen nichts, weil sich das niemals rechnen wird. Förderungen, die glaubhaft aufs eigene Land setzen statt sich im Glanze der anderen zu sonnen, würden womöglich schon genügen.

Das Problem ist, daß in unserer kleinen deutschen Kinolandschaft der Erfolg oder Mißerfolg jedes einzelnen Films immer gleich über die Qualität des gesamten deutschen Films zu entscheiden scheint. Das ist kein Klima, in man auf längerfristige Entwicklungen setzen oder Talente wirklich fördern könnte. Vielleicht muß man sich erst einmal von der unsinnigen Sehnsucht nach Weltgeltung trennen, um in Ruhe arbeiten und dann vielleicht neue Maßstäbe setzen zu können. Da geht es dem deutschen Film nicht anders als unserer Fußball-Nationalmannschaft.

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