26. Oktober 1995 | Süddeutsche Zeitung | Interview | Wim Wenders

Landschaften der Liebe

Ein Gespräch mit Wim Wenders über Michelangelo Antonioni

Gestern eröffnete JENSEITS DER WOLKEN die Hofer Filmtage, nächste Woche kommt der Film in die Kinos. Weil Antonioni seit seinem Schlaganfall kaum mehr sprechen kann, hat Wim Wenders für ihn das Wort ergriffen. Er redet so leise und langsam, daß man manchmal den Eindruck hat, man höre ihm beim Denken zu. Und dabei kann es passieren, daß er mitten im Satz darauf aufmerksam macht, daß der Schatten des Ostberliner Fernsehturms, den er aus seinem Büro sieht, jetzt genau auf dem Hochhaus gegenüber liegt. Und daß das nur zu dieser Jahreszeit vorkomme. Ein Interview mit Wenders ist also immer auch wie ein Film von Wenders.

Was ist Ihnen von der Zusammenarbeit mit Michelangelo Antonioni am besten in Erinnerung geblieben?
Seine Hand, mit der er gestikuliert, gezeichnet und die Schauspieler erstaunlich fest gepackt hat, um sie dort hinzustellen, wo er sie hinhaben wollte. Hände spielen ja auch in seinen Filmen immer wieder eine große Rolle.
Wie kam die Zusammenarbeit denn überhaupt zustande?
Ich bin schon vor Jahren mal gefragt worden, ob ich als Backup-Regisseur für Michelangelo einspringen könnte, weil sein Projekt DUE TELEGRAMMI sonst von keiner Versicherung angenommen worden wäre. Aber das kam dann nicht zustande, und ich war mit BIS ANS ENDE DERWELT beschäftigt, so daß wir uns wieder aus den Augen verloren haben. 1993 trat man dann wieder an mich heran, weil man nicht nur einen Backup-Regisseur suchte, sondern auch jemanden, der die Rahmenhandlung um die vier Episoden herum inszenieren sollte.
Warum ist die Wahl ausgerechnet auf Sie gefallen?
Ich glaube, was seine Entscheidung beeinflußt hat, war die Tatsache, daß wir eine ähnliche Art haben, mit Landschaften umzugehen. Da hören die Gemeinsamkeiten aber eigentlich auch auf.
Und warum haben Sie sich darauf eingelassen, die zweite Geige zu spielen?
Da gab es die Wut, daß so einer nicht drehen darf, nur weil er nicht sprechen kann. Ich habe mir vorgestellt, wie das wäre, wenn ich nicht mehr reden könnte, und dachte, da müßte es doch jemanden geben, der mir hilft. Der Kern des latenten Konflikts war allerdings, daß er mich eigentlich gar nicht brauchte.
Wenn man Ihr Tagebuch von den Dreharbeiten liest, hat man eher den Eindruck, daß es ohne Hilfe nicht gegangen wäre.
Das waren doch nur Anfangsschwierigkeiten. Er hat den Filmapparat immer besser in den Griff bekommen, sobald er seinen Rhythmus gefunden hatte. Er könnte jederzeit noch einen Film machen.
Was Sie beide außerdem verbindet, ist die Art, wie Sie sich selbst als Regisseursfigur stilisieren. Sie haben beispielsweise selbst aus Ihrem Scheitern in Amerika noch eine Art Kunstwerk gemacht.
Dieses Scheitern ist ja im Stand der Dinge auch Film geworden, so wie die Heimkehr in DER HIMMEL ÜBEr BERLIN. Wenn das eigene Leben keine Rolle spielen dürfte, welche Berechtigung hätte man dann, persönliche Filme zu machen? Vielleicht sieht meine Definition von Persönlichem und Privatem einfach so aus, daß ich dem Persönlichen mehr Platz in meinen Filmen einräume.
Könnte man sagen, daß Sie im Moment mehr daran interessiert sind, Talente zu orchestrieren, als eigene Geschichten zu erzählen?
In dem Fall würde ich das als Formulierung ablehnen. Das ist bei Michelangelo wirklich der falsche Ausdruck. Außerdem habe ich immer drei bis vier Bücher in meinem Computer, an denen ich sporadisch weiterarbeite.
Und was muß passieren, damit Filme daraus werden?
Das ist immer ein Ort, der die Leute und die Geschichte ruft. In PARIS, TEXAS war das der amerikanische Westen, in BIS ANS ENDE Australien. In Deutschland war das Gefühl eigentlich am stärksten am Rhein entlang oder an der deutsch-deutschen Grenze. Die Geschichte ist eine Art Kreuzungspunkt zwischen den Möglichkeiten dieses Ortes und der Personen, die dann dazustoßen.
Und welche Orte rufen als nächstes?
Ich mache bestimmt noch mal einen Film im Rheinland, wo ich aufgewachsen bin. Aber es würde mich auch BRASILIA interessieren. Ich habe den Film auch schon vor Augen gesehen. Das ist diese völlig durchgeplante Stadt, und es ist ganz abenteuerlich, wie das Leben da durch die Spalten lugt. Jim Jarmusch hat mal gesagt, wenn er sehe, daß selbst der Müll bei ihm schön aussieht, ekle es ihn manchmal vor ihm selbst.
Kennen Sie das auch?
Das ist nicht so sehr ein Problem von Jim oder mir, sondern von jedem, der ein ausgeprägtes Stilbewußtsein hat. In dem Moment, wo man nicht einfach herumzoomt, sondern ein ästhetisches Bewußtsein hat, wird man immer dieses Problem haben, daß saubere Bilder entstehen, ohne daß man unbedingt will, daß es schön aussieht. Beim Jim ist das extrem, weil er schon in seinem ersten Film fünf Minuten lange Einstellungen gedreht hat. Und weil das niemand anderer so kunstvoll hingekriegt hätte, sieht erst recht jeder Mülleimer kunstvoll aus.
Wenn man Sie bei öffentlichen Auftritten sieht, wirken Sie immer enorm entspannt. Bei Interviews eher weniger. Woran liegt das?
Wenn man hierzulande interviewt wird, wird man durch die Situation und die Gesprächspartner immer weit hinter sich selbst zurückgeworfen. Die Kunst, andere locker zu machen und dem Gegenüber das Beste zu ermöglichen, beherrschen nur die Amerikaner. Mir persönlich gelingt die Lockerheit beim Schreiben und beim Reden viel besser auf Englisch. Auf Deutsch war ich immer eher gehemmt, bin es vielleicht heute noch. Deswegen war mir auch das amerikanische Kino immer sympathisch.

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