20. Februar 1999 | Süddeutsche Zeitung | Interview | Harald Schmidt

„Man muß Aggressionen rauslassen, ohne daß es Tote gibt”

Harald Schmidt über das Leben, das Theater, das Fernsehen und das Theater um das Fernsehen

Harald Schmidt, 41, geboren und aufgewachsen im schwäbischen Nürtingen, ist der umstrittenste Entertainer des deutschen Fernsehens. Die einen sehen in ihm den Hauptschuldigen für die Epidemie einer naßforschen Spaßkultur, die anderen konsumieren seine Late Night Show auf Sat 1 als Abendmedizin, um den (Medien-)Horror des Tages zu verkraften. In Helmut Dietls Film Late Show, der am kommenden Donnerstag in die Kinos kommt, spielt Harald Schmidt einen Fernsehproduzenten. Ein Gespräch in Schmidts Kölner Büro.

SZ: Herr Schmidt, erinnern Sie sich noch an Augsburg?
Harald Schmidt: Ich habe in Augsburg drei Jahre lang Theater gespielt. Kleinstrollen. Nur Schrott. Ich war froh, als ich wieder weg war. Ich habe von Augsburg aus 40 Bewerbungen geschrieben und nicht einmal Absagen bekommen. So war das damals.
Wissen Sie, wie Thomas Bernhard Augsburg bezeichnet hat?
Ja, als „Lech-Kloake”. Augsburg hat sich fürchterlich darüber aufgeregt. Das ist ja das Süße an Augsburg. Es ahnt keiner, wie man sich fühlt, wenn man „Lech-Kloake” sagt, und es regt sich keiner auf.
Mögen Sie Bernhard?
Ja, ich liebe ihn. Bernhard war grandios, süffig. Vor allem, wenn ein Schauspieler wie Traugott Buhre im Theatermacher loslegt: „Annntttitalennnnt! ”Wunderbares Wort. Oder: „Atlantikküstenbekanntschaft!” – Mit hartem t und hartem k.
Würden Sie gerne mal als Bernhard-Figur auftreten?
Ja.
Wären Sie gut?
Nein. Ich bin ein schmaler Schauspieler, immer nah an mir selbst dran. Ich bin nicht in jeder Rolle anders. In Augsburg gab es sogar Knatterchargen, die waren in jeder Rolle anders. Die haben in jeder Rolle anders geknattert.
Bernhard war in gewisser Hinsicht ein konservativer Mensch. Wen hätten Sie gewählt, wenn Sie im September nicht mit Grippe zuhause geblieben wären?
Konservativ bin ich auch. Ich hätte Schröder gewählt. Auf keinen Fall die Grünen.
Warum nicht?
Absolute Überdosis im Erscheinungsbild, vor allem bei den grünen Frauen. Motto: Schaut nicht auf die Frisur, hört auf den Inhalt. Ich schieße mit der Plastikpistole meiner Tochter während der TV-Nachrichten auf grüne Frauen. Die Pistole ist vom Weihnachtsmarkt. Dazu muß man sich bekennen, daß man mit einer Plastikpistole aus Korea auf Gunda Röstel schießt. Man muß sich abreagieren. Man muß Aggressionen rauslassen, ohne daß es Tote gibt. Dazu bin ich durch Bernhard ermutigt worden. Schön war auch, wie Rezzo Schlauch beim politischen Aschermittwoch aus dem Zug gelaufen, nein, gefallen kam, mit einer dicken Wurstsemmel, halb im Mund, halb in der Hand, tropf . . (Das Telephon klingelt. Helmut Dietl ist dran. ) Jaaa, hallo Meister. Ja, mit der Süddeutschen, die machen ein Sonderheft über Harald Schmidt. Ja, hähähä, sehr gut. (Legt auf) Die Vroni (Dietls Frau Veronica Ferres) kommt nächste Woche als Grace Kelly in meine Sendung. Toll, der Dietl. Er kümmert sich auch um sowas.
Was fällt denn einem Konservativen wie Ihnen ein, wenn er sich so durchs Fernsehen zappt?
Wenn ich zappe, ist es unerträglich. Wenn ich bewußt auswähle, finde ich es grandios. Ein Abend über Thomas Bernhard auf Arte, fünf Stunden, ist großartig. Ich sehe auch gerne Phoenix, Kurt Biedenkopf drei Stunden ungeschnitten zu Gast in der Handwerkskammer Oberschwaben. Meine Lieblingsveranstaltung im TV ist allerdings die Übertragung des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs, drei Tage lang live, täglich sieben Stunden. Das gucken außer mir nur noch fünf andere komplett durch. Da herrscht noch Rauchzwang für Schriftsteller, und draußen sitzt so ein Reporter am Biertisch und wartet und wartet, daß die Autoren rauskommen – und dann kommt keiner. Kostbar.
Haben Sie Freude an den wirklich unerträglichen Sachen im Fernsehen?
Hatte ich mal. Ich konnte mir das Frühlingsfest der Volksmusik ansehen und mich darüber amüsieren. Heute langweilt es mich. Man braucht diese Sendungen, um das System in Deutschland stabil zu halten. Es ist das, was die Mehrheit will. Die Leute wollen auch nicht Rot-Grün, die wollten nur den Kohl weghaben. Nach der Wahl haben sie sich erschrocken. Aber mich kratzt das nicht, die Leute sollen sich Volksmusik angucken. Auch ich mache eine Familienshow.
Eine Familienshow, wenn Sie als oral befriedigter Kanzlerkandidat der „BUMS-Partei” auftreten?
Aber ich bitte Sie, BUMS wurde mißinterpretiert. BUMS ist die Abkürzung für Berufliche Sicherheit, Umwelt, Mitverantwortung und Soziale Stabilität. Die 0190-Telephonsex-Show fehlt mir noch. Wallner-TV: Da ruft ein Abgeordneter an, und man muß raten, wer es war. (Das Telephon klingelt, Sat 1-Programmchef Fred Kogel ist am Apparat. ) Fredy! Ja, unglaublich. Ich glaube, es wird lustig bei der Premiere, man hört dann schon am Abend die Kritiker flüstern, Daumen hoch, Daumen runter, in der Art, darüber drehen wir dann den zweiten Teil, hähä. Ja, tschüss. (Legt auf. ) Dietl, Kogel – die Anrufe waren natürlich bestellt.
Sie haben mal am Düsseldorfer Kom(m)ödchen ernsthaft Kabarett gemacht. Eine schöne Zeit?
Eine wunderschöne Zeit. Kay Lorentz, der Prinzipal, sagte damals, Schmidt, Du bist zwar nicht gut, aber ich brauch’ Dich als Puffer im Ensemble. Ich dachte nur: Wow, ich bin im Kom(m)ödchen. Zum Schluß habe ich zwei Drittel des Programms geschrieben. Da war ein Generationskonflikt. Ich habe ihm erzählt, daß sich die Zeiten geändert haben, daß draußen Punker mit Ratten auf den Schultern herumlaufen. Da fragt er: „Wo draußen?” Und ich sage: „Vorm Kom(m)ödchen!” Wir lagen im permanenten Clinch mit dem Chef. Er gehörte noch zu denen, die richtig hassen können. Ich habe ihm viel zu verdanken.
Es gibt viele Geschichten darüber, wie Sie als junger Mann waren. In der Bunten stand, Sie hätten mal wem ins Wohnzimmer gemacht.
Das hat einer der ganz Großen des investigativen Journalismus herausgefunden, und zwar der damalige Bunte-Chef Franz Josef Wagner. Ich habe niemals jemandem ins Wohnzimmer gemacht. Aber ich bewundere den Künstler FJ Wagner: Macht eine Geschichte über den Bootsunfall von Götz George und den Schlaganfall von Günther Strack und schreibt dann drüber: „Was hat das Schicksal gegen sie?” Das ist Kunst. „Es gilt die Faustregel: Hosen runter!”
Sie waren als junger Mann also eher kein Rocker?
Nein, nein, ich war mehr so auf der Menschenrechtsseite. Johnny Cash, Live at St. Quentin, wie er singt: „Sääänkt Quäntin, I hääite every inch of youuu. ” Cash mußte man damals heimlich hören, heute gilt er als Kult, wie er so dasitzt, von den Toten auferstanden, in Ohio auf dem Sofa, vor dem rostigen Mikrophon.
Waren Sie damals glücklich?
Nein. Ich war gekränkt. Ich habe Offensivverteidigung betrieben. Ich war nie der leader of the gang, also mußte ich lustig sein. Bei Kopfballturnieren habe ich 17 zu 1 verloren. Ich habe aber damals schon geahnt, daß der, der mich besiegt hat, dafür wird bezahlen müssen. Der war körperlich ein Tier, ging aber nach der Schule direkt in den Gebrauchtwagenhandel. Das habe ich schon mit 15 Jahren geahnt. Tatsächlich hat er mir später mal aus einem alten Opel zugewunken.
Und heute? Sind Sie noch zu verunsichern, bevor Sie auf die Bühne gehen?
Nein. Ich bin ruhig. Ich bin bei mir.
Haben Sie während der Show mal gedacht, Hilfe, es geht nicht mehr weiter?
Nein. Ich lasse so eine Nummer durch Schweigen ins Leere laufen. Manchmal ist jedes Wort falsch. Wenn Ihnen ein Gast vom Rußlandfeldzug vorschwärmt, können Sie den Antimilitaristen raushängen lassen oder Sie können – die beste Lösung – schweigen. Das sagt mehr.
Aber wie war das damals, als Sie anfingen mit der LATE NIGHT SHOW? Es hagelte Verrisse.
Ich habe da etwas Autistisches. Hans Werner Henze sagt zu solchen Verrissen: „Auf dem Niveau bin ich nicht erreichbar. ” Ich habe in solchen Zeiten aber meinen Privatspaß, wenn in der Süddeutschen Zeitung Josef Joffe – der große Außenpolitiker und Mr. Nato der SZ – einen Artikel über mich verfaßt; nicht jubelnd, aber mit einem transatlantischen Humor-Verständnis. Das hat mich gefreut.
Bleiben wir in den USA, und reden wir über Ihre Vorbilder: Jay Leno, David Letterman oder Johnny Carson.
Erst Letterman, dann Carson. Ich habe mir mit der Zeit immer mehr bei Carson abgeguckt, die Ruhe, das breite Timing, die Langstreckendistanz, diese totale Langsamkeit. Das kostet alles teure Sendeminuten, erzeugt aber bei den Leuten Spannung.
Was bedeutet der Faktor Zeit in Ihrer Sendung im Vergleich…
Ächz, stellen Sie die Frage mal einfacher! Don’t understand, I am just a guy from Ohio, man.
Gut. Auch Sie lassen gerne scheinbar sinnlos Zeit in Ihrer Sendung verstreichen. Zum Beispiel, in dem Sie minutenlang ein Pendel zeigen. Warum machen Sie sowas?
Erstens: Es sieht schön aus. Zweitens: An diesen war die humoristische Materiallage eher frugal. Aber das Großartige ist: Wir haben das bisher viermal gemacht, und jedesmal ist die Quote während der Pendelnummer geklettert. Es beruhigt.
Ist das Anti-Fernsehen?
Nein, das ist Physik. Wir verkaufen die Leute nicht für blöd. Wir muten den Leuten drei Minuten lang Ruhe zu. Meistens ist es härter, wenn einer drei Minuten lang singt. Das sind die eigentlichen Angriffe auf die Menschenwürde. Setzen Sie sich dagegen mal alleine an eine Küste und schauen Sie raus aufs Meer, einfach so, stundenlang, großartig. Und wir sagen den Leuten: Schaut mal, das ist unser Pendel, der funktioniert so und so, und den schaut euch mal an.
Das versteht nicht jeder unter Unterhaltung.
Das ist mir egal. Ich war sehr stolz, als ich bei VERSTEHEN SIE SPAß? in Bochum eine Minute lang zur Primetime am Samstagabend auf einem Flügel ein Metronom habe laufen lassen. Das hat mein Ende bei der ARD beschleunigt. Aber sowas sollte jeder mal gemacht haben. Ich erkläre auch ausführlich in der LATE NIGT SHOWeinen Akkord aus dem Tristan. Die Leute merken, daß es mir ernst ist um diesen wunderschönen Akkord. Sie wissen, daß der Tristan wichtiger ist als der Bundeskanzler. Der Kanzler geht irgendwann, Tristan bleibt.
Brauchen wir mehr Ruhe im TV?
Ja. Aber Sie können das natürlich nicht ewig machen. Sie müssen auch wieder Titten zeigen, sonst werden die Leute verrückt. Diese Ruhe-Nummern kann man einstreuen. Sonst aber gilt die Faustregel: Hosen runter und Narhalla-Marsch!
Wir wollen Ihnen zum Schluß mal einige Begriffe und Namen nennen. Mal schauen, was Ihnen dazu spontan einfällt.
Au ja.
Stille?
Luxus, kaum noch zu finden. Nur noch Gedudel – im Kaufhaus, im Restaurant. Ich bin übrigens jemand, der nicht gerne redet, wenn er nicht reden muß.
Stil?
Ich wünschte, ich hätte meinen schon gefunden. Das beschränkt sich noch auf Sofas, die ich mir jetzt endlich leisten kann.
Ekel?
Ich ekle mich vor fast nichts.
Liebe?
Erstrebenswert. Ich gehöre auch zu den beneidenswerten Menschen, die sich selber lieben.
Tod?
Ja, das sollte man mal in der Süddeutschen Zeitung schreiben, daß der Tod das Leben beendet. Und daß man sich die Frage stellen muß, ob es ein Leben danach gibt.
Gibt’s das?
Ja.
Das ist nicht Ihr Ernst. Sie glauben an ein Leben nach dem Tod?
Kein Witz.
Gut. Edmund Stoiber?
Eine Sternstunde des deutschen Fernsehens war seine Trauerrede für August Everding. Stoiber als Kunstliebhaber! Er hat über Everding gesprochen und sich selbst gemeint. Ganz große Klasse!
Helmut Dietl?
Dietl befiehl! Ich folge!
Susan Stahnke?
Sehr sympathische Sprecherin, die mir der Himmel geschickt hat.
Muß man Frau Stahnke vor sich selbst schützen?
Dafür ist es zu spät.
Klaus Bednarz von Monitor?
Ich bin ein Fan von ihm. Der ist ein Desperado. Der hat sich nie der neuen Lockerheit verschrieben. Und fünfeinhalb Millionen Menschen schalten die Kiste ein, wenn er einen Film über den Baikalsee vorführt.
Siegmund Gottlieb vom Bayerischen Fernsehen?
Hat mich neulich gemeinsam mit seiner Frau auf dem Bayerischen Filmball umarmt.
Wie war das?
Zärtlich.
Peinlichkeit?
Empfinde ich nie als überraschend.
Nein?
Nein. Alles ist, wie es ist.