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01. März 1988 | Tempo | Interview | Gerhard Polt

Ja, Sakra, da Polt!

Mit seinem Film MAN SPRICHT DEUTSH bewegt Gerhard Polt die Lachmuskeln der Nation. Aber was bewegt Gerhard Polt? Sein Ruhm als begnadeter Satiriker? Seine Identität als Bayer? Geld? Macht? „Ja mei..." In TEMPO verrät Gerhard Polt, was ihm wirklich wichtig ist.

TEMPO: Gleich zum unangenehmen Teil des Abends. Wann können wir Sie fotografieren?
Gerhard Polt: Ja, des is halt schwierig.
Warum?
Ja mei, koa Lust. Es gibt doch schon Fotos von mir. Und a Gsicht konserviert sich ja normal a Zeit lang.
Wir hätten schon gerne ein neues Foto von Ihnen.
Ja mei, dann ruft’s halt an.
Sie gelten in Deutschland als Komiker, aber aus Ihrem neuen Film MAN SPRICHT DEUTSH sind wir total deprimiert wieder herausgekommen. Hohen Sie das beabsichtigt?
Da müßt ich spekulieren. Ich setz mich ja nicht hin und sag: „Ich mach den und den Film, damit die Leute so und so reagieren.“ Des is ja a Blödsinn. Über die Wirkung bin ich immer überrascht. Nehmen’s diesen Wein hier (zeigt auf sein Glas): Eben haben Sie ihn bestellt, und jetzt ist er gekommen, und jetzt probier ich ihn halt.
MAN SPRICHT DEUTSH persifliert deutsche Touristen im Italienurlaub. Die Handlung wechselt ständig zwischen Realität und Tagträumen. Am Ende sind die Träume noch ernüchternder als die Wirklichkeit.
Des is die Wahrheit. Ich behaupte, wenn man die Leut nach Träumen fragt, nach Utopien und Visionen, da wird man erstaunt sein, wie wenig denen einfallt. Das entfernt sich wirklich nicht von der Realität. Zum Beispiel: Ich hab einen Sohn, der ist kaum acht Jahre alt. Mit dem geh ich in Berlin in ein Kaufhaus und seh das Science-Fiction-Spielzeug. Da hast du dann eine Marsmenschen-Familie mit Helmen und so Zeug. Und was machen die? Die sitzen an einem Frühstückstisch. Des mein ich. Des ist praktisch eine Fantasie, die ins All umgesetzt ist.
Glauben Sie, Ihr Film hätte sehr viel anders ausgesehen, wenn Sie einfach mit einer versteckten Kamera die Wirklichkeit an italienischen Stränden gefilmt hätten?
Ja mei, kaum: Die Wirtschaft in unserem Film heißt „Schwarzwaldgrotte“. Während der Dreharbeiten in Terracina sind wir von Leuten angegangen worden, die geglaubt haben, das sei ein wirkliches Lokal. Sie haben gefragt, ob man da gut essen kann, weil sie von dem italienischen Zeug schon genug hatten. Und dann haben wir sagen können: „Schaun’s, 100 Meter weiter gibt’s ein Lokal, das heißt ,Neandertal‘, da gibt’s Wurstsalat.“
Ist es eine typisch deutsche Eigenart, überall auf der Welt Wurstsalat und Schweinebraten essen zu wollen?
Nein, eine Familie aus Malmö hat mir folgendes erzählt: Ihre Nachbarn, eine schwedische Lehrersfamilie, sind für drei Wochen nach Italien gefahren. Dann sind sie nach zwei Wochen zurückgekommen und wurden gefragt: „Warum seid ihr schon wieder da? Hat’s euch nicht gefallen? War jemand krank?“ Da haben sie gesagt: „Uns sind die schwedischen Konserven ausgegangen.“
Haben Sie sich für MAN SPRICHT DEUTSH von anderen Filmen inspirieren lassen?
Ich hab DIE FERIEN DES MONSIEUR HULOT von Jacques Tati gesehen. Verglichen mit heute ist der Film die reine Idylle. Der hat so eine Liebenswürdigkeit, die ist weit entfernt von der Gewalttätigkeit einer Costa Brava oder Costa del Sol.
Sie arbeiten sowohl fürs Fernsehen als auch fürs Kino. Worin unterscheidet sich die Arbeitsweise?
Sketch an Sketch, das geht nicht. Ein Film muß ein‘ Bogen haben. Irgendwer hat einmal gesagt: Eine Tragödie, des is leicht geschrieben. Da brauch ich zwei Flaschen Wein, und die schreib ich in einer Nacht. Aber eine Komödie zu schreiben, die doch einigermaßen berührt, des is tatsächlich schwieriger. Du hast da a Mordsding, des mußt erst mal packen.
Sind Ihnen die Dreharbeiten nicht auf die Nerven gegangen?
Ja mei, ich muß schon sagen, ich bin immer froh, wenn’s aus ist. Wenn die Dreharbeiten vorbei sind und ich einen Kaffee trinken gehen kann. Ich bin nicht so ein leidenschaftlicher Arbeiter. Aber in dem Moment, wo ich in eine Arena spring, muß ich hupfen, da hilft halt alles nichts. Es gibt da eine Kausalität, die ich akzeptiere.
Welche Kausalität?
Das Lustprinzip gehört schon dazu, aber ich muß auch ein Geld verdienen. Ich brauch ja eine Gage. Ich will ein Schnitzel haben und an Rotwein, verstehst. Ich bin ja nicht so vermögend. Ich hab auch keinen Onkel in Amerika. Da soll man nicht drüber hinwegreden, daß des a Rolle spielt.
Das Schnitzel?
Das Schnitzel und die Möglichkeit zum Schnitzel.
Sie haben Skandinavistik studiert und vier Jahre lang in Schweden gelebt. Haben Sie deshalb ein feineres Gehör für die Tücken und Macken der deutschen Sprache?
Jeder Mensch, der Lust hat, Sprachen oder Dialekte zu lernen, hat eine Lust am Zuhören. Der erlebt Sprache nicht nur als gedruckte Sprache, sondern auch als Klangkörper, als Geräusch. Ich glaube, daß man diese Lust am Sprechen fördern kann. Also, die Schule tut’s meistens nicht, weil, die meisten Lehrer können selber kaum frei sprechen.
Glauben Sie, daß Leute, die Dialekt sprechen, gegenüber der gedruckten Sprache mißtrauisch sind?
Also, ich glaub von Haus aus, daß jeder Dialekt eine Bereicherung ist, weil das Vokabular ziselierter ist. Es ist wurscht, ob man Teig statt Doag sagt. Aber es ist ein Unterschied, ob man auf hochdeutsch „ich träumte“ sagt oder auf boarisch „mir hod dramt“. Einmal ist man das Subjekt, das andere Mal ist man das Objekt. Man teilt etwas anderes über seine Befindlichkeit mit. Als ich in Schweden war, hab ich versucht, den Leuten etwas über meine Erfahrung als Ministrant in Altötting zu erzählen. Da ist mir aufgefallen, daß, wer koan Weihrauch griacht hat, wer ned innera Frühmesse war, der hat auch keine Übersetzungsmöglichkeit für diese Erfahrung.
Dialekte sterben langsam aus. Verändert sich dadurch auch das Lebensgefühl der Menschen?
Ein Münchner Kind ist heute praktisch vom Dialekt entsorgt. Valentins Irrealis „hätte geworden sein können“ ist einem Kind gar nicht mehr begreiflich zu machen, weil’s nicht mehr Teil seines Erlebens ist. Ja mei, schad halt. Also, ich bin überzeugt, die Römer wären auch beleidigt, daß hier nimmer lateinisch g’redt werd. Des is halt immer so, daß du bedauerst, was du grad verloren hast. Wenn ich mein Geldbeutel hier verlier und geh naus und weiß, daß ich da noch 60 Mark drin g’habt hab, dann bedauer ich des. Aber eine Sache, die ich nicht g’habt hab, also, wenn nix drin war in dem Geldbeutel, dann ist’s mir auch wurscht, ob ich ihn verloren hab.
Versuchen Sie, den verlorenen Geldbeutel wiederzufinden?
Mei, da muß ich a G’schicht aus der Schul erzählen. Mir harn amal an Aufsatz schreiben sollen mit dem Thema: Vor- und Nachteile eines Wandertags. Ich hab‘ mich dann auch hing’setzt und so a Gliederung geschrieben, mit allen Vor-und Nachteilen. Und unter Vorteile hab ich aufg’schrieben: Eventuelles Auffinden eines Geldbeutels. Und der Lehrer hat mir dann meinen Text zurückgegeben mit dem Zusatz: äußerst unwahrscheinlich.
Haben Sie manchmal Angst, daß Ihnen die Ideen ausgehen?
Des ist nicht des Problem: Man hat zehn Ideen g’habt, sieben san weg, jetzt hat man noch drei. Ich habe vielleicht mehr Ideen wie je zuvor, aber es kost immer mehr Kraft, sie umzusetzen. Ich möcht nicht eines Tages vorm Spiegel stehn und sagen müssen: Des war ned in Ordnung. Wenn man Erfolg hat, wird man schnell verführt: Können’s nicht da was schreiben, können’s nicht hier auftreten. Also, das wär’n sozusagen meine Schnitzel auf Vorrat. Aber ich will nicht ständig in der Öffentlichkeit stehn und aufdringlich werden. Und des werd‘ ma sehr leicht. Da muß ich nur in den Fernseher schaun. Da werd ma leicht peinlich.
Ist schon jemand auf die Idee gekommen, aus dem Satiriker Gerhard Polt eine Satire zu machen?
Mein Sohn, der macht des schon. Wenn ich im Auto sitz, und mei Bua sitzt hinten, und ich sag, zum Beispiel, nur: „So ein Arschloch!“, dann seh ich genau das Gesicht von dem Kleinen, wie der mich nachahmt.
Ist Ihr Beruf schwieriger geworden, seitdem die politische Realität die wüstesten Erfindungen ständig rechts überholt?
Wenn man Wirklichkeit darstellt, dann muß man komische Mittel einsetzen, damit sich des überhaupt jemand anschaut. Sonst könnt‘ ich ja gleich z’Haus bleiben. Warum sollt ich über korrupte Politiker ein Wort verliern, wo’s schon in jeder Zeitung steht? Ich will’s halt sinnlich erzählen. Als Revue oder Film. Ob des dann politisch ist, sollen die andern beurteilen.
Laufen Sie nicht Gefahr, nur diejenigen Leute anzusprechen, die ohnehin schon Ihrer Meinung sind?
Des is nicht nur eine Gefahr, des is a Tatbestand. Dafür sprengen wir den Rahmen, meine Partner von den Biermösl Blos’n und ich. Wir sprechen ein Publikum an, das man im Kabarett nicht erreicht. Zum Beispiel werden wir von der Freiwilligen Feuerwehr eines kleinen Dorfes mit 600 Einwohnern zum 70jährigen Jubiläum eingeladen. Für die sind wir kein intellektuell-politisches Kabarett, deshalb hören uns die Leute zu. Manchmal treten wir auch im Wirtshaus auf.
Dann müßte Ihnen das Fernsehen ja gerade recht sein.
Sicher, aber im Wirtshaussaal kann ich feststellen, wie die Leut reagieren. Eine Einschaltquote sagt ja nix. Da weiß ich nicht, wieviel Leut beim Bieseln waren, während der Fernseher lief. Im Wirtshaus kann ich des verifizieren. Da weiß ich, ob der zuhorcht oder sich ärgert oder die Tür zuhaut und sagt: „Arschloch.“

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