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01. Dezember 2003 | Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung | Interview | Peter Jackson

Der große Hobbit

Ein unveröffentlichtes Interview mit Peter Jackson

Was war für Sie der schönste Moment in den letzten sieben Jahren, die Sie mit dem HERRN DER RINGE verbracht haben?
Ich erinnere mich am liebsten an die Dreharbeiten im Dorf der Hobbits, ganz am Ende des dritten Teils. Wir hatten ein abgelegenes Tal in Neuseeland gefunden, das uns ideal erschien. Das war ein Jahr vor dem geplanten Drehbeginn. Wir bauten die Häuser, und wir wollten nicht, daß das Ganze wie ein künstlicher Filmset aussieht. Also pflanzten wir Hecken, legten Gärten an, zogen Gemüse und Blumen. Dann ließen wir es ein Jahr lang wachsen. Als wir wiederkamen, fühlte ich mich das erste Mal nicht wie an einem Filmset, ich hatte das Gefühl, direkt in die Welt von Mittelerde zu kommen. Die Komparsen trugen alle schon ihre Hobbit-Kostümen und bevölkerten das Dorf. Das war der allerschönste Moment.
Und der schlimmste Moment?
Das war Ende 1999, es war also Sommer in Neuseeland, wir drehten gerade die Szene, in der die Hobbits und Aragorn durch die Wildnis ziehen. Und auf einmal fing es an zu schneien! Es hat in dieser Gegend seit ungefähr 150 Jahren nicht mehr geschneit! Dann kam auch noch die Polizei und forderte uns auf, das Gelände zu verlassen, es sei zu gefährlich. Als räumten wir das Feld. Die schlimmsten Erinenrungen haben immer mit dem Wetter zu tun. Dann möchte man am liebsten alles hinschmeißen.
Und wie geht es Ihnen jetzt, als König der Kinowelt, als Regisseur, Produzent und Koautor eines der erfolgreichsten Projekte der gesamten Filmgeschichte?
Ich sehe das überhaupt nicht in diesem Kontext. Es ist schon seltsam. Ich habe die Arbeit an DIE RÜCKKEHR DES KÖNIGS erst vor zwei Wochen beendet, ich bin total erschöpft. Ich habe keine Perspektive auf das große Ganze. Aber natürlich bin ich wahnsinnig froh bin, daß die Leute die beiden ersten Teile so sehr mochten, viele haben die Filme sechs, sieben Mal oder noch öfter gesehen. Es ist ein großartiges Gefühl zu wissen, daß der Film so vielen Menschen auf der ganzen Welt gefallen hat. Das hofft man jedoch immer, wenn man einen Film macht: daß die Leute ihn mögen. Aber ich habe kein Gefühl für meine Rolle innerhalb des Kinos. Ich lebe in Neuseeland, da ist alles sehr weit weg.
Wann haben Sie denn das letzte Mal Urlaub gemacht?
Ich habe mir während der Dreharbeiten jeweils über Weihnachten eine kurze Pause gegönnt, aber einen wirklichen Urlaub, das dürfte zehn Jahre her sein. Ich kann mich dunkel erinnern, daß ich mal in Salzburg Urlaub gemacht habe, das muß so um 1990 gewesen sein.
Gönnen Sie sich denn jetzt wenigstens eine Pause?
Nur über Weihnachten, danach gehen die Arbeiten an dem KING KONG-Remake richtig los. Aber das ist eher entspannend. Die Arbeit am Drehbuch ist immer der erfreulichste Teil, weil man nicht permanent 16-Stunden-Tage hat. Das ist fast schon wie Ferien.
Sie sind jetzt in einer komfortablen Position. Sie können alles tun, was Sie wollen. Haben Sie nicht gesagt, Sie könnten das Telefonbuch von Baltimore zur Verfilmung vorschlagen und würden das Geld dafür bekommen?
Nein, das haben andere geschrieben. Einen derart großen Film wie HERR DER RINGE werde ich aber gewiß nicht wieder machen. Ich werde auch nie mehr drei Filme hintereinander drehen.
KING KONG ist ja nun auch nicht gerade ein kleines Projekt!
Ich habe auch noch jede Menge andere Projekte im Kopf. Aber KING KONG, das ist nur ein einziger Film. Filmemachen ist immer hart, und am härtesten ist es, daß am Ende auch ein guter Film dabei herauskommt. Viele Filme, die heute gemacht werden, sind wirklich schlecht, man hat immer Angst, daß der eigene Film auch schlecht wird. Da ist das Genre oder das Budget völlig egal.
Aber so ganz kommen sie vom HERRN DER RINGE doch nicht los. Es war zu lesen, daß Sie nach KING KONG auch noch Tolkiens Buch „Der kleine Hobbit“ verfilmen wollen, als eine Art Prolog zum HERRN DER RINGE“!
Alle fragen mich jetzt danach, doch es gibt überhaupt keine offizielle Anfrage. New Line, die Firma, die den HERRN DER RINGE produziert hat, besitzt gar nicht die Rechte an dem Buch. Deshalb habe ich nur gesagt: Wenn ihr mich fragt, werde ich mit Sicherheit ernsthaft darüber nachdenken. Vielleicht klingelt ja eines Tages das Telefon.
Wie viele andere Projekte haben Sie denn in den letzten sieben Jahren beiseitelegen müssen?
Ich hatte in den Jahren drei oder vier wirklich gute Ideen für künftige Filme.
Haben Sie denn nach dem Großeinsatz von Spezialeffekten und computergenierten Bildern im HERRN DER RINGE noch Lust, ein weiteres Mal so viel Zeit vorm Computer zu verbringen? KING KONG wird ja ohne spektakuläre Spezialeffekte nicht zu machen sein.
Ja. CGI, computer generated images, sind ein wunderbares Werkzeug für Filmemacher. Viele halten es bloß für einen Gimmick, für ein Spielzeug. Aber es erlaubt Filmemachern, alles in einen Film zu realisieren, was man sich vorstellen kann. Man schließt die Augen, stellt sich irgendein beliebiges Bild vor, und dank CGI kann man es verwirklichen. Riesige Städte, Menschenmassen, die bis zum Horizont reichen, all das läßt sich fotorealistisch auf die Leinwand bringen. Was sonst bloß im eigenen Kopf spielt, wird zum zum Teil des Prozesses. Es gibt für uns keine Grenzen mehr, das ist aufregend.
Ist es nicht manchmal leichter oder sogar reizvoller, mit den Beschränkungen zu arbeiten, die die Realität einem auferlegt?
Es hängt von dem Film ab, den man machen will. CGI ist natürlich teuer, es kommt also nicht für jeden Film in Frage.
CGI verändert nicht nur die Rolle der Kameraleute und Regisseure, sondern auch die der Schauspieler, für die es doch ziemlich strapaziös sein kann, dauernd vor einem Blue Screen und anderem High-Tech-Equipment zu arbeiten.
Ich kann nur von meinen Erfahrungen beim HERRN DER RINGE reden. Zumeist ist CGI den Schauspielern nicht in die Quere gekommen. Die Schauspieler haben wie auf jedem Set normal miteinander gearbeitet. Außer wenn sie gegen ein Monster oder etwas, das gar nicht da war, kämpfen mußten. Was tut ein Schauspieler denn? Er gibt etwas vor, er schafft eine Illusion, und das bleibt auch so, wenn man mit vielen Spezialeffekten arbeitet.
Gibt es da nicht neue Qualität? In den beiden MATRIX-Sequels oder im HERRN DER RINGE lassen sich fotorealistische menschliche Wesen im Computer erzeugen, man braucht im Grunde nur noch jemanden einzuscannen und kann mit diesem Scann mehr oder minder alles machen, was man will.
Aber Schauspieler werden nie überflüssig werden. Es gibt nichts Mächtigeres als die menschliche Augen, die Blicke, die Emotionen, die sie freisetzen. Wir lieben es einfach, menschliche Wesen auf der Leinwand zu sehen, wir gehen ins Kino, um menschliche Dramen zu erleben. Die Interaktion zwischen dem Publikum im Saal und den Menschen auf der Leinwand ist ein unentbehrliches Element des Kinos. Im Computer erzeugte Menschen werden nie menschliche Wesen ersetzen können. Warum sollte man einen Menschen im Computer kreieren, wenn ein wirklicher Mensch vor der Kamera unendlich viel stärker wirkt? Aber man kann, und das finde ich völlig okay, Stuntleute ersetzen, das reduziert das Risiko, denken Sie nur an die Schlachtszenen im HERRN DER RINGE.
Andererseits ist Gollum, die Kreatur aus dem Computer, eine der am meisten bewunderten Effekte im HERRN DER RINGE. Es gibt sogar schon Vorschläge, für solche Kreationen eine eigene Oscar-Kategorie einzurichten!
Gollum ist ja kein menschliches Wesen, man schafft ein Wesen, das niemals von einem Menschen gespielt werden könnte. Aber es basiert ganz wesentlich auf der Performance von Andy Serkis. Gollum funktioniert so gut, weil ein Schauspieler, ein Mensch all die Entscheidungen für diese Figur getroffen hat.
Nach all den Jahren, die Sie in der Welt von Mittelerde gelebt haben: Welche Figur würden Sie denn am liebsten sein?
Ich mag die Hobbits sehr, ich liebe ihre runden Häuser und vor allem, daß sie barfuß herumlaufen. Jeder Charakter, der keine Schuhe trägt, ist mir zutiefst sympathisch.

Das für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung geführte Gespräch blieb unveröffentlicht.

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