21. Oktober 2001 | Frankfurter Allgemeine Zeitung | Glosse, Leben | Minibar

Phänomenologie

Die Minibar

Für manche Krankheiten gibt es einfach keinen Namen: nicht für jenes Bedürfnis, das manche Leute auf Brücken überkommt, Schlüsselbund, Geldbeutel und sämtliche Papiere ins Wasser hinabzuwerfen. Und auch nicht für jenes Jucken, das einen vor der Minibar befällt und zu befehlen scheint, sofort all die kleinen Fläschchen zu öffnen, nur um das Knacken des Schraubverschlusses zu hören. Natürlicher Geiz verhindert zwar, daß man diesem Drang allzu häufig nachgibt, aber nach Lage der Dinge ist nicht jeder davor gefeit. So kommt es immer wieder vor, daß man dann tatsächlich an einem Fläschchen dreht, aber das Knacken ausbleibt, weil sich daran offenbar schon jemand zu schaffen gemacht hat. Das ist kein netter Zug von Hotelgästen – schon gar nicht, wenn man feststellt, daß jemand einen Schluck genommen und den Rest mit Wasser aufgefüllt hat. Das ist angesichts der Preise an sich eine verständliche Reaktion, aber doch ein wenig unhygienisch und im übrigen ganz und gar unmännlich.

Andererseits ist die Minibar ohnehin nichts für ganze Männer. Denn sie ist mini, weil es in den meisten Hotels für eine richtige Bar nicht mehr reicht. Sie ist geradezu ein Sinnbild für die heruntergeschraubten Bedürfnisse des modernen Reisens. Miniflaschen für den Minidurst zu Maxipreisen. Und dennoch ist die Minibar nicht etwa ein Angebot, das man einfach so ignorieren könnte, sondern eine Aufforderung, sie gefälligst auch zu nutzen. So wie die Schuhputzautomaten, unter die selbst jene Menschen ihre Füße halten, die sich sonst eher nicht die Mühe machen, ihre Schuhe zu putzen.

Wahrscheinlich ist es mit den Hotels wie mit Kinos: So wie dort der wahre Umsatz nicht mit Eintrittskarten, sondern mit Softdrinks und Popcorn gemacht wird, so leben Hotels vermutlich nicht von den Übernachtungspreisen, sondern vom Konsum aus den Minibars. Da darf man es dann auch nicht persönlich nehmen, daß der Flaschenöffner angekettet ist. Damit wollen Hotels keineswegs andeuten, wofür sie ihre Gäste halten, sondern lediglich zur sofortigen Benutzung auffordern. Dabei wird aber übersehen, daß man damit Bierflaschen öffnen kann, ohne Spuren zu hinterlassen. In einem ungenannten Hotel in Hof habe ich deshalb einmal erlebt, daß sich in einer offenbar vor Jahren schon einmal geöffneten Bierflasche eine Art blauschimmeliges Biotop gebildet hatte, in dem wahrscheinlich mehr Leben herrschte als in der ganzen Stadt Hof. Wenn ich das nicht gerade noch rechtzeitig vor dem ersten Schluck gemerkt hätte, wäre meine Beziehung zu Minibars vermutlich erheblich gestört gewesen.

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