05. Juli 1997 | Süddeutsche Zeitung | Essay | Franzosen auf dem Filmfest München

Filmfest München

Die rosarote Brille

Alles so schön bunt hier: Die Franzosen führen vor, wie breit ihre Farbpalette ist

Fünf Filme, fünf Regisseure, die außer ihrer Nationalität so gut wie nichts miteinander gemein haben: Berliner, Tavernier, Poirier, Harel, Godard. Wenn man so will, führen sie nur vor, wie breit die Farbpalette des französischen Kinos immer noch ist.

Wo immer er auf Grau treffe, hat Picasso gesagt, werde er Rosa dagegensetzen. Hübsches Programm, das mitunter sogar fürs Kino taugt. Alain Berliner hat diesen Satz mit Ma Vie en Rose sozusagen verfilmt, indem er seinen Bildern jeden Anflug von Grau ausgetrieben hat. Die Geschichte ist schließlich auch so schon traurig genug.

Ein kleiner Junge glaubt fest daran, daß er zum Mädchen berufen ist, und läßt sich weder durch gutes Zureden noch Drohungen von diesem Weg abbringen. Man könnte sagen, daß der Film aller Buntheit zum Trotz Schwarzweiß-Malerei betreibt, wenn er seine Geschichte nicht mit solcher Ungerührtheit erzählen würde. Berliner hat kein Mitleid mit seiner Welt, die langsam zu Bruch geht – und manchmal nicht einmal mit seinem sanften Helden. Und wenn er sich fortträumt in eine Welt der Barbie-Puppen, dann haben die Farben durchaus einen giftigen Glanz, der den sterilen Phantasien eine surreale Qualität verleiht, die eher dem Reich der Alpträume entstammt.

Wo immer Bertrand Tavernier auf Blutrot trifft, setzt er das Grau des Krieges dagegen. Sein CAPITAINE CONAN (20 Uhr, Münchner Freiheit) erzählt eine Geschichte von der Balkanfront im Ersten Weltkrieg, wo auch nach dem Krieg das Morden und Plündern weitergeht. Dabei spielt der Film an jener unsichtbaren Grenze, hinter der es kein Zurück mehr gibt: Wer sie einmal überschritten hat, ist verloren. So werden aus Soldaten Krieger, und aus Menschen Tiere. Aber wie Tavernier das zeigt, ist er eher dem Realismus von AUF OFFENER STRASSE und DER LOCKVOGEL verpflichtet als den früheren Filmen.
Fast hat man den Eindruck, als habe Tavernier 1991 mit dem gleichnamigen Film die Rolle des DADDY NOSTALGIE abgelegt und sich alle Illusionen abgeschminkt. Es ist, als habe er sich einer größeren Härte verschrieben, die aber in erster Linie als Sprödigkeit daherkommt.

Erstaunlich wenig spröde wirkt hingegen der Versuch Philippe Harels, einen ganzen Film mit subjektiver Kamera zu inszenieren: LA FEMME DÉFENDUE. Nur zweimal bekommt man den Helden selbst zu Gesicht, wenn sich sein Blick in einem Spiegel fängt, ansonsten kann man fortwährend dem Feuer der Liebe zusehen, wie es sich entzündet, ausbreitet, herabbrennt, erneut aufflackert und endlich verglimmt. Die subjektive Kamera zeigt den starren Blick eines verheirateten Mannes auf eine junge Frau (Isabelle Carré), die zum Seitensprung verführt wird und langsam den Spieß umdreht. Durch diese einseitige Perspektive, die gar nicht unbedingt über die Identifikation funktioniert, frißt sich dieser französische Cannes-Beitrag viel tiefer ins Gedächtnis, als man anfangs wahrhaben will – eine faszinierende Versuchsanordnung zum Thema Liebe.

Manuel Poirier gehört zur Zeit zu den spannendsten Regisseuren Frankreichs und käme kaum auf die Idee, sich auf formale Spielereien im Stile von Harel einzulassen, wenngleich er für diese einfache Geschichte das Cinemascope-Format gewählt hat. Er erzählt auch in WESTEN (17. 30 Uhr, Münchner Freiheit) wieder, wie das Leben so spielt, wenn man wenig Zukunft, aber reichlich Hoffnung hat. Der Westen, von dem er im Titel spricht, ist die Bretagne, und als Road Movie bringt er es gerade Mal zehn Kilometer weit. Ein Spanier und ein Russe suchen nach der Liebe und finden das Leben. Das ist genau beobachtet und immer wieder von einer Zärtlichkeit, die einen hinterrücks überfällt.

FOREVER MOZART ist sicher nicht Jean-Luc Godards spannendster Film – man hat im Gegenteil den Eindruck, daß sich manche Methoden bei ihm langsam überlebt haben –, aber es gibt in seinen Filmen immer noch Bilder von einer so erfrischenden Klarheit und ergreifenden Einfachheit, daß einem die Augen übergehen. Godard kommt jedenfalls immer noch ohne Rosa aus, wenn es darum geht, dem Grau etwas entgegenzusetzen.

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