30. März 1995 | Süddeutsche Zeitung | Essay | Filmvorspänne

Lauter Versprechen

Wenn der Film die Augen aufschlägt: Die Kunst der Vorspänne

Anfänge sind immer ein Versprechen: Wenn der Film zum ersten Mal die Augen aufschlägt, dann entscheiden die ersten Momente, wie man ihm begegnet. Was zeigen die ersten Bilder? Wollen sie locken oder verführen, sich verweigern oder schockieren? Oder fängt der Film einfach an, seine Geschichte abzuspulen, ohne weiter auf die Zuschauer einzugehen? Auf jeden Fall hat es ein Film, der sich nicht ordentlich vorstellt, schwerer, auf sich aufmerksam zu machen.

Vorspänne sind das, was in der Oper die Ouvertüre ist – oder könnten es zumindest sein. Dort werden die Namen der Leute vor und hinter der Kamera und der Filmtitel genannt und im Idealfall auch Themen und Ton des Films angeschnitten. Man nennt das title sequence oder credits. Das kann man mit weißer Schrift auf schwarzem Grund erledigen oder aber, indem man sich etwas einfallen läßt. Eine Zeitlang war es populär, erst einmal die erste Szene des Films zu zeigen, ehe die Titel kommen. Später kam es dann in Mode, mit dem Film einfach zu beginnen und die Credits erst am Ende zu nennen, zum Beispiel bei Petersens IN THE LINE OF FIRE. Das mag daran liegen, daß im Publikum während des Vorspanns meistens Unruhe herrscht und deshalb die meisten Regisseure versuchen, die Titel so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. Eine andere Möglichkeit ist es, den Vorspann zur Kunst zu erheben. Das ist allerdings etwas aus der Mode gekommen.

Der unbestrittene Meister dieses Genres ist Saul Bass, der in den Fünfzigern und Sechzigern vor allem für Alfred Hitchcock und Otto Preminger gearbeitet und zuletzt für Martin Scorsese die Vorspänne gestaltet hat. Als er anfing, war es in amerikanischen Kinos noch üblich, den Vorhang erst dann aufzuziehen, wenn sich die Titel dem Ende zuneigten. Preminger ließ deshalb auf allen Filmkopien eine Notiz für die Vorführer anbringen, den Vorhang schon zu öffnen, ehe der Film beginnt.

Wenn man die Vorspänne von Bass sieht, weiß man auch, warum. Jeder von ihnen ist ein eigenes kleines Kunstwerk. In VERTIGO nähert sich die Kamera dem Auge von Kim Novak, aus dem sich dann eine gezeichnete Spirale herausdreht. Damit klingt bereits das Schwindelgefühl an, um das es in dem Film geht. Für Preminger hat Bass zu CARMEN JONES, DER MANN MIT DEM GOLDENEN ARM oder ANATOMIE EINES MORDES nicht nur die Vorspänne gestaltet, sondern auch die Plakate und damit das Design des Films. Seine schematisierten Zeichnungen nahmen um gut dreißig Jahre das vorweg, was man heute die identity eines Films nennt. Wenn also für BATMAN oder DICK TRACEY nur mit einem Logo geworben wird, ohne Nennung des Titels, dann wird nur etwas aufgegriffen, was Saul Bass einst erfunden hat. Und man wundert sich, daß sich nicht mehr Regisseure Mühe mit ihren Vorspännen geben.

In den Siebzigern war es um Bass still geworden, und erst Scorsese hat ihn für CAPE FEAR und GOODFELLAS wiederentdeckt. Zuletzt hat Bass die sich in Zeitraffer öffnenden Blumen im Vorspann zu ZEIT DER UNSCHULD erfunden, eine wunderbare Variation zum Werden und Vergehen der Liebe im Film. Mittlerweile gibt es auch wieder Leute, die sich von Bass inspirieren lassen: die Designer Randy Balsmeyer und Mimi Everett zum Beispiel, die für David Cronenberg DEAD RINGERS, NaKED LUNCH und M. BUTTERFLY, für Spike Lee JUNGLE FEVER und CROOKLYN und für Robert Altman SHORT-CUTS und nun PRÊT-À-PORTER entworfen haben.

In JUNGLE FEVER haben sie über die Bilder von New York Verkehrszeichen gelegt, weil es in dem Film auch um Vereinfachungen durch Vorurteile geht, und für Dead Ringers haben sie alte anatomische Holzschnitte verwendet, die Cronenbergs gynäkologischen Obsessionen vorwegnehmen. Für PRÊT-À-PORTER mußten Balsmeyer/Everett das Problem lösen, knapp dreißig Stars im Vorspann unterzubringen, ohne daß es langweilig würde. Also haben sie die Namen auf bunte Stoffetzen geschrieben, die von unten nach oben durch den Vorspann flattern. Im Hintergrund sieht man währenddessen einen schnellen Schwenk. Und wenn er zur Ruhe gekommen ist, schwebt vor dem Eiffelturm ein Stoffetzen mit dem Titel. Und weil der Film nicht mit dem Vorspann, sondern mit einer kurzen Szene in Moskau beginnt, haben sie für die Schrift kyrillische Buchstaben verwendet.

Mimi Everett sagt: ‚Bei Titeln geht es darum, die Zuschauer auf den Film einzustimmen. Wir arbeiten darauf hin, daß sie nach dem Vorspann für das, was sie zu sehen bekommen, so empfänglich wie möglich sind.‘ Die Ausrede der meisten – vor allen der deutschen – Regisseure lautet, wenn sie gefragt werden, warum sie dem Vorspann nicht mehr Aufmerksamkeit geschenkt haben: Es war kein Geld mehr da. Das ist etwa so, als würde ein Autor sagen, er habe keine Zeit gehabt, sich über den ersten Satz Gedanken zu machen. Dabei entscheidet sich da bereits, mit welcher Haltung sich das Kunstwerk seinem Betrachter nähert. Der Film schlägt die Augen auf, und schon ist man gebannt. So muß es sein.

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