17. November 1994 | Süddeutsche Zeitung | Essay | Filmrechte

Wem gehört das Kino?

Die verwirrende Situation bei den Filmrechten

MARTHA von Rainer Werner Fassbinder kommt nach zwanzig Jahren erstmalig wieder ins Kino. Warum erst jetzt? Einst war dem Heyne-Verlag die Ähnlichkeit mit einer Kurzgeschichte von Cornell Woolrich aufgefallen; Fassbinder bestritt zwar, das Buch je gelesen zu haben, aber der WDR bezahlte vorsorglich eine Ablöse für die beiden Ausstrahlungen im Fernsehen. Für eine Kinoverwertung wurde damals kein Geld gezahlt. Erst 1993 erwarben der WDR, die Fassbinder-Stiftung und der Filmverlag von Woolrichs Erben die Kinorechte. So einfach ist das und so kompliziert.

Die Sache wirft die Frage auf, wer eigentlich die Rechte an Kinofilmen besitzt? Was immer an Blut, Schweiß und Tränen vergossen worden sein mag, bis aus einer Idee ein Film geworden ist – am Ende läuft es darauf hinaus, wer die Rechte besitzt. Man weiß, daß Leo Kirch den Grundstein für sein Imperium legte, als er die Rechte an Fellinis LA STRADA erwarb. Man weiß auch, daß die Japaner in Amerika Studios aufkaufen, um die Rechte an deren alten Filmen zu erwerben. Aber wem eigentlich was gehört, das ist undurchsichtig.

Schon die großen Studios waren nicht immer ihre eigenen Herren gewesen. MGM gehörte der Kinokette Loew’s Theaters. 1948 wurde in Amerika diese Allianz verboten. Fortan gab es jede Menge unabhängige Produktionsfirmen, ehe gegen Ende der Sechziger branchenfremde Firmen ins Geschäft einstiegen. Coca-Cola kaufte Columbia, die Versicherungsgesellschaft Transamerica erwarb United Artists und Gulf & Western übernahm Paramount. Aber die neuen Besitzer verkauften sie irgendwann weiter an Firmen, die wie einst Loew’s wieder an der Auswertung der Filme interessiert waren: Auf Video, im Fernsehen, über Kabel.

Elliot Forbes hat sich für die amerikanische Filmzeitschrift Film Comment die Mühe gemacht, alles aufzudröseln. Er schätzt, daß die zehn größten Konzerne zusammen etwa 18 000 Filme besitzen. Das ist eigentlich gar nicht so viel und wäre in vier Jahren Dauerfernsehen zu schaffen. Es gibt natürlich noch Hunderte von kleinen Rechtsinhabern und eine Menge Filme, die nicht auftauchen, weil es keine Kopien mehr gibt oder niemand weiß, wer die Rechte daran hat. Die Frage heißt in jedem Fall nicht nur: Wem gehört was? Sondern auch: Wer gehört wem?

Der Übersichtlichkeit halber müssen wir grob vereinfachen: Turner Broadcasting Systems Inc. gehört zum Beispiel nicht nur Ted Turner, aber ihm gehören alle MGM-Filme vor 1986, alle Warner-Filme vor 1950 sowie die Filme von RKO, New Line und Castle Rock.Matsushita Electrical Industrial Co. gehört einerseits JVC, die das VHS-System erfunden haben, und andererseits MCA Inc., also alle Universal-Filme sowie die Paramount-Filme vor 1949.

Die Sony Corporation hat neben der ganzen Unterhaltungselektronik alle Filme von Columbia und Tri-Star. Rupert Murdochs News Corporation besitzt Zeitungen und Fernsehsationen sowie die Rechte an den Filmen der Twentieth Century-Fox. Time Warner Inc. hat wiederum so ziemlich überall die Finger drin, besitzt aber vor allem die Rechte an den eigenen Warner-Filmen nach 1949 sowie dies und das von Lorimar und der Ladd Company.

Metro-Goldwyn-Mayer gehörte zuletzt einem verrückten Italiener, jetzt aber der französischen Bank Crédit Lyonnais, die damit die MGM-Filme nach 1985 und die United-Artists-Filme besitzt. Das einzige Studio, das sich gehalten hat, ist die Walt Disney Company, der alle eigenen Filme sowie die von Touchstone, Hollywood Pictures und Miramax gehören.

Es gibt immer noch die Samuel Goldwyn Company, ITC Entertainment oder Carolco, die Rechte an ihren Filmen besitzen sowie diverse Erbengemeinschaften wie die von Chaplin, Wayne oder Harold Lloyd. Und es gibt auf der anderen Seite noch jede Menge Käufer, die in das Geschäft einsteigen wollen: Bertelsmann oder ITT, Computer- und Plattenfirmen, Zeitungen und Telephongesellschaften.

Wer das verwirrend findet, mag sich damit trösten, daß es durch die immer größeren Konzerne und ihre immer größere Gier nach Filmrechten zur Zeit so übersichtlich ist wie schon lange nicht mehr. Und ganz gleich, wie die Zukunft aussehen mag, diese Riesen haben überall die Finger drin, damit sie möglichst den ganzen Weg des Produkts von der Entstehung bis zur Verwertung kontrollieren können. Bis dahin saugen sie wie Staubsauger die ganze Filmgeschichte auf, um, ganz gleich wie die Hardware aussehen mag, sofort mit Software zur Stelle sein zu können. ‚Wir versuchen‘, heißt es, ‚den Bedarf für Produkte vorherzusagen, die noch nicht entwickelt worden sind, für Leute, die im Zweifelsfall noch nicht einmal geboren worden sind.‘

Was das mit Kino zu tun hat? Wenig. Das wird nicht mehr als ein Feigenblatt sein, mit dem die Medienriesen ihre wahren Absichten tarnen. Aber MARTHA kommt noch ins Kino. Immerhin.

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