09. Februar 1999 | Süddeutsche Zeitung | Essay | Elia Kazan

Das Arrangement

Nicht alle sind glücklich darüber, daß Hollywood Elia Kazan ehrt

Dies ist eine lange Geschichte. Sie beginnt im Jahr 1934 und wird wahrscheinlich auch dann noch nicht zu Ende sein, wenn Elia Kazan am 21. März von der Academy of Motion Picture Arts and Sciences den Ehren-Oscar, den sogenannten Lifetime Achievement Award überreicht bekommt. Das ist sozusagen der höchste Preis, den Hollywood zu vergeben hat, denn damit werden Künstler geehrt, deren Werke über jeden Einwand erhaben sind – zuletzt Stanley Donen, Kirk Douglas und Michelangelo Antonioni.

Nun wird die Frage gestellt, ob das nur für die Filme gilt, oder ob auch die Karriere über jeden Zweifel erhaben sein muß. Denn Elia Kazan hat zwar Filme wie ENDSTATION SEHNSUCHT und JENSEITS VON EDEN gedreht, hat für FAUST IM NACKEN und TABU DER GERECHTEN sogar Oscars gewonnen, hat in den Vierzigern den Broadway dominiert und das Actors Studio berühmt gemacht – aber er hat auch 1952 vor dem Ausschuß für unamerikanische Umtriebe (HUAC) die Namen von acht Kollegen genannt, die wie er selbst Mitglied der Kommunistischen Partei Amerikas waren.

Die Entscheidung für Kazan, der 89 Jahre alt ist, spaltet nicht nur die Filmgemeinde. Es gehe um Kunst und nicht um Politik, tönt die einen Seite, und im übrigen sei es ja wohl die Tat eines echten Patrioten gewesen, den Kampf gegen den Kommunismus zu unterstützen. Die andere Seite nennt Kazan „King Rat”, König der Verräter, der seine Seele für seine Karriere verkauft und seine Freunde auf die schwarze Liste gesetzt habe. Es gibt Leute wie Charlton Heston, der die Entscheidung höchst verdient und längst überfällig nennt und die „nahezu stalinistische politische Korrektheit” der Linken beklagt; und es gibt andere wie den Schauspieler Allen Garfield, der Kazan schätzt und bewundert, aber sagt: „Es ist für einen Künstler eine Sache der Ehre, dem HUAC die Stirn zu bieten, so wie das der große Lionel Stander getan hat, und nicht alles auszuplaudern, wie es Elia vorgezogen hat. Es ist einfach nicht die Zeit – und eine solche Zeit wird auch nie kommen –, um vergangene Kapitulationen mit heutigen Ehren zu versehen. ” Genau das wird jedoch passieren, und mancher fürchtet, daß es am Oscar-Abend nicht nur Rührung und Ovationen, sondern auch Buhs und Pfiffe geben wird.

Die Geschichte beginnt also im Jahr 1934, als der Emigrantensohn griechisch-türkischer Abstammung, der als Schauspieler im Theater und Film arbeitete, der kommunistischen Partei beitrat. Zweifellos gab es damals ein paar gute Gründe, für die Kommunisten zu sein – so wie es später ein paar noch bessere Gründe gab, aus der Partei wieder auszutreten. Das tat Kazan 1936 auch und nannte den Kommunismus eine „gefährlichen Verschwörung”. Aber seine Abkehr bewahrte ihn nicht davor, daß er vor Senator McCarthy und seinem HUAC auftreten mußte. Am 10. April 1952 nannte er Namen, darunter die des Autors Clifford Odets und der Schauspielerin Paula Strasberg. Nicht daß die Namen dem Ausschuß nicht schon bekannt gewesen wären, aber es ist eben eine Sache, in so einer Situation zu reden, und eine andere, zu schweigen.

Tatsache ist, daß Kazan weiterarbeiten durfte, während die Standhafteren auf eine schwarze Liste – erstellt von der selbsternannten Patriotengruppe Aware und der American Legion – kamen und von den Studios nicht mehr beschäftigt wurden. Die Hollywood Ten, die die Aussage verweigerten – unter ihnen Autoren wie Dalton Trumbo und Ring Lardner jr. –, gingen ins Gefängnis, andere, wie die Regisseure Joseph Losey oder Jules Dassin, gingen ins Exil. Insgesamt 300 Künstler, deren Namen während der Zeugenaussagen fielen, kamen auf die blacklist. Als 1956 jedoch ein gewisser Robert Rich den Drehbuch-Oscar für „The Wild One” gewann, stellte sich peinlicherweise heraus, daß es sich um im Wirklichkeit um Dalton Trumbo handelte. Erst in den Sechzigern konnten sie wieder unter ihrem Namen arbeiten. Aber es dauerte bis 1997, ehe die Autorengilde offiziell die Pseudonyme durch die richtigen Namen ersetzen ließ.

Zu den Leuten, die nicht mehr arbeiten konnten, gehört auch der Drehbuchautor Abraham Polonsky, der in der L. A. Times verkündete: „Ich mag Kazan nicht, aber ich versuche, meine moralischen und meine ästhetischen Maßstäbe nicht durcheinanderzubringen. Er hat eine Menge guter Filme gemacht, also könnte man sagen, daß er den Preis verdient – ich möchte ihn ihm nicht geben müssen. Der Mann ist ein Fiesling. Ich möchte mit ihm nicht allein auf einer Insel sein – er würde einen bei lebendigem Leib verspeisen. ”

Tatsächlich sollte Kazan schon 1989 auf Vorschlag von Charlton Heston vom American Film Institute geehrt werden, aber nach Kritik von einigen Mitgliedern wurde der Vorschlag abgelehnt – dasselbe passierte, als vor zwei Jahren die Los Angeles Film Critics Association den Mann auszeichnen wollte. Es sah so aus, als sei Kazan selbst auf seiner eigenen schwarzen Liste gelandet. Als jedoch im Januar Karl Malden vor dem Beirat der Academy eine Rede zugunsten seines Freundes hielt, wurde die Entscheidung für den Ehren-Oscar einstimmig angenommen. Die Produzentin Gale Ann Hurd, die einst zu den Kritikern zählte, sagte: „Damals waren die Künste unter Beschuß von konservativen Fanatikern wie Jesse Helms – und dem wollten wir nicht in die Hände arbeiten. Aber Kazans Filme waren und sind Klassiker – er hat den Oscar absolut verdient. ”

Hollywood befindet sich also – was selten genug vorkommt – in einem moralischen Dilemma. In einer Branche, die sprichwörtlich oft genug über Leichen geht, ist der Eindruck nicht ganz verkehrt, man habe sich lange für den eigenen Mangel an politischer Haltung an Kazan schadlos gehalten. Eine offizielle Anerkennung der Opfer des HUAC durch die Academy steht allerdings noch aus. Der Oscar für Kazan ist also – wie es einer seiner Filmtitel nennt – ein Arrangement Hollywoods mit seiner Geschichte – und seinen Kritikern. Immerhin wird mal wieder Licht auf die Sache geworfen.

Die Geschichte soll fürs erste mit dem Opfer Polonsky enden, der hofft: „Ich werde zusehen und hoffen, daß ihn jemand erschießt. Das wäre zweifellos eine Abwechslung an diesem sonst so langweiligen Abend. ”

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