09. September 1998 | Süddeutsche Zeitung | Bericht, Venedig | Venedig 1998 (3)

55. Mostra in Venedig

Von doppelten Spielen und Menschen

Liz am Lido – eine echte Elisabeth und eine falsche: Filme von Solanas, Planchon, Shekhar Kapur und Caan

Die echten Stars sieht man nicht. Sie kommen und gehen auf Wegen, die den Sterblichen nicht zugänglich sind. Um so erstaunlicher, daß sich Elizabeth Taylor immer wieder auf der Terrasse des „Excelsior” zeigt, sich in ihrem blauen Hosenanzug räkelt und die Aufmerksamkeit geradezu zu genießen scheint. Und das wirklich Erstaunliche daran ist, daß Elizabeth Taylor gar nicht auf der offiziellen Gästeliste des Lido steht.

In Wahrheit handelt es sich um Marina Castelnuovo, die nicht nur als offizielles Taylor-Double gilt, sondern hier auch ihre Memoiren mit dem Titel „Liz & io” vorstellt. Man kann nur vermuten, was sie darin schreibt, aber wenn das Licht der echten Sterne Tausende von Jahren braucht, um zu uns zu gelangen, dann wird Marinas Biographie Lichtjahre entfernt von ihrem Vorbild verlaufen sein. Und womöglich war das nicht unbedingt das unglücklichere Leben.

Man kann sich allerdings ausmalen, daß die Filme, die man bislang am Lido zu sehen bekommen hat, sich zu ihren Absichten verhalten wie Marina zu Liz – sie führen eine Existenz im Schatten der Verheißungen, die von ihnen ausgingen. Und manchmal äffen sie nur nach, was vorher von ihnen erwartet worden ist.

Am schlimmsten vielleicht Fernando Solanas, der mit „La nube” einen Film vorstellte, der wie eine Parodie auf ein lateinamerikanisches Kino wirkt, das sich aus der Wirklichkeit immer noch in trübe Metaphern flüchtet. Ein verdienstvolles Theater soll abgerissen werden, die alten Schauspieler nähren sich mühsam vom vergangenen Ruhm. Die jüngeren Talente sind längst zum Fernsehen gegangen, und die Genossen von einst, die den Weg in die Kulturbürokratie genommen haben, geben vor, ihnen seien die Hände gebunden. Die Melancholie von „Sur” ist einer zwanghaften Tristesse gewichen, die allerlei altbackene filmische Mittel bemüht, um sich stets in den Vordergrund zu schieben. Es regnet fortwährend, und die Zeit (und das Bild) läuft immer wieder rückwärts. Das Schicksal des Theaters ruft noch nicht mal Mitleid hervor, weil sich der Film ausschließlich in Selbstmitleid verliert.

Wenn man von Rohmer absieht, so gab es also noch keinen Film, der es mit „Lola rennt” aufnehmen könnte – auch wenn die seriösere italienische Presse den Tiefgang vermißte. Das restliche Publikum erkannte, daß hier ein frischer Wind weht, der anderen Beiträgen gründlich abgeht. Dabei gibt es immer wieder Filme – vor allem über historische Figuren –, die sich gerade darum bemühen, der Geschichte Beine zu machen.

Roger Planchon beschleunigt in „Lautrec” das Schicksal des gleichnamigen Malers zum Musical, in dem die Szenen zwar keine Musik, aber doch die Auftritte und Abgänge von Musical-Nummern besitzen. Die Figuren haben Charakter, aber kaum Luft zum Atmen, und die Geschichte hat wohl Drive, aber am Ende keinen Rhythmus. Und wenn die gut ausgeleuchteten Szenen mit Toulouse-Lautrecs Vorbildern zur Deckung kommen, dann ist der Effekt derselbe, wie wenn man Marina Castelnuovo auf der Terrasse des „Excelsior” einen Moment lang für Liz Taylor hält – die Sache hält einem zweiten Blick nicht stand.

Von einer echten Elizabeth handelt „Elizabeth” von dem Inder Shekhar Kapur, der sich 1994 mit seinem Film über die „Bandit Queen” Phoolan Devi einen Namen gemacht hat. Da wirkt das 16. Jahrhundert jedenfalls näher als so mancher Film hier, der in der Gegenwart spielt. Es wird der Aufstieg der von der Filmgeschichte bislang eher geschmähten Elizabeth Tudor zur Queen of England als Lebensweg einer Frau gezeigt, die sich vom lebenslustigen jungen Mädchen aus Staatsräson in eine eiserne Jungfrau verwandelt. Man habe dabei, läßt die Produktion verlauten, eher an Coppolas „Pate” als an die Kostümdramen von Merchant-Ivory gedacht. Das ist zwar hübsch gesagt, zeugt aber vor allem von dem Mißverständnis, eine möglichst plakative Umsetzung historischer Vorbilder sei ein irgendwie riskantes Unterfangen. Tatsächlich ist der Film flott gemacht und gut gespielt – neben Cate Blanchett als Elizabeth sind Geoffrey Rush, Richard Attenborough, Fanny Ardant, Vincent Cassel, John Gielgud und der Fußball-Star Eric Cantona zu sehen –, aber letztlich vertraut er viel mehr auf seine Kostüme, als das James Ivory je nötig hätte.

Und ein weiteres Mal muß sich ein Double mit seinem Vorbild messen. James Caan versucht sich in „Poodle Springs” nach Humphrey Bogart, Robert Mitchum und Elliott Gould an der Rolle des Philip Marlowe, und er ist darin so cool, wie es Raymond Chandler, der den Roman angefangen, Robert B. Parker, der ihn fertiggeschrieben, Tom Stoppard, der ein Drehbuch daraus gemacht, und Bob Rafelson, der es inszeniert hat, zulassen – und das ist cool genug, um in der Wüsten-Oase Poodle Springs einen kühlen Kopf zu bewahren. Dies sind die frühen Sechziger, Kennedy ist Präsident und Marlowe frisch verheiratet. Der Fall ist noch verschachtelter, als es Chandler je hätte planen können. Wohin Marlowe auch tritt, öffnet sich eine Falltür in ein neues Rätsel, in dem wieder alle ein doppeltes Spiel spielen. Das Ende ist wie der Anfang, aber ein Blick auf eine Zeitung eröffnet, daß Kennedy in Dallas erwartet wird.

In der Welt von Marlowe sehen die Frauen aus wie einst Liz Taylor, verwöhnte Mädchen, die auf die eine oder andere Weise Probleme mit ihren Daddys haben. Aber letztlich ähneln sie in ihrem Bemühen, jemand anderes sein zu wollen, eher einer Figur wie Marina Castelnuovo. Letztlich tun wir das alle – aber wir schreiben keine Bücher darüber.

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