28. Oktober 2003 | Frankfurter Allgemeine Zeitung | Bericht, Weitere Festivals, Weitere Filmpreise | Hof 2003

Irgendwo in Deutschland

Auf den Hofer Filmtagen zeigt das deutsche Kino, daß es aus seinen Fehlern gelernt hat

Es gab eine Zeit im deutschen Film, da sahen alle Städte gleich aus. Die sogenannten Beziehungskomödien genügten sich als Schauplatz selbst, und auch sonst verloren sich die Helden gern im Irgendwo. Außer in den Filmen von Dominik Graf, dem diesjährigen Filmpreisträger der Stadt Hof, konnte man den Eindruck gewinnen, daß diese topographische Unschärfe einhergeht mit einer ganz allgemeinen Beliebigkeit. Wer nicht mal sagen kann, wo seine Geschichte spielt, der wird in der Regel auch keine rechte Vorstellung davon haben, wie er sie erzählen soll.

Wenn man sich die deutschen Filme der 37. Hofer Filmtage und überhaupt der letzten Zeit ansieht, kann man allerdings sagen, daß die jungen Regisseure ihre Lektion gelernt haben. Es wird wieder genauer hingesehen, die Schauplätze sind identifizierbar, und das jeweilige Milieu ist leichter zu greifen. Damit sind keineswegs alle Probleme gelöst, aber eine Verschiedenartigkeit der Landschaften wird sichtbar, auch jenseits der Großstadt Berlin, die fast schon ein eigenes Genre bildet.

Man kann das sehen an einem Film wie Neco Celiks URBAN GUERILLAS, der in der Kreuzberger Sprayer- und Rapper-Szene zwischen Oranienplatz und Görlitzer Bahnhof spielt. Celik hat überwiegend mit Laien gedreht, die vor der Kamera etwas ungelenk agieren, und Szenen improvisiert, die sich eher mutwillig zur Erzählung zusammenfinden. Aber je länger sein Film dauert, desto deutlicher wird die Energie spürbar, die in diesem deutsch-türkischen Milieu steckt, desto leichter läßt man sich packen von dem Versuch, der Großstadt den Puls zu fühlen, wenn die Kamera zu einem harten Beat über den Netzplan der Berliner Verkehrsbetriebe fliegt, die Rapper auf der Straße zusammenkommen, die Sprayer über die Dächer huschen oder ein einfacher Panoramablick die Stadt zum Glühen bringt. Da ist weniger Geschicklichkeit als Ambition am Werk, und die Geschichte vom Mädchen, das sich als Junge verkleidet, um in der Szene Anerkennung zu finden, besticht eher durch einen gewissen Witz als durch emotionale Abgründe, doch für solche Projekte ist Hof genau der richtige Ort, weil sich dort Enthusiasmus und Improvisation zu einem Gemisch verbinden, dem man sich schwer entziehen kann.

Für die Hofer Filmtage und ihren Chef Heinz Badewitz ist es über die Jahre nicht leichter geworden, den Platz als Durchlauferhitzer des deutschen Films zu behaupten. Aber obwohl München, Berlin, Hamburg oder Saarbrücken mit ihrem urbanen Renommee oder Preisen oder beidem locken, zieht es den Nachwuchs immer noch nach Oberfranken, wo das Publikum selbst dem abseitigsten Film gegenüber aufgeschlossen ist und scharenweise in überfüllten Kinos auf dem Boden sitzt, als gelte es, einer Hollywood-Premiere beizuwohnen. Und obwohl das fünftägige Programm vergleichsweise überschaubar ist, erlebt man in Diskussionen immer wieder, daß der beste Filme genau der ist, den man verpaßt hat.

Der beste deutsche Film, den man nicht verpaßt hat, ist KROKO von Sylke Enders, der vorführt, daß man auch mit Laien zu einer Inszenierung finden kann, in der jeder Ton sitzt. Kroko ist eine sechzehnjährige Blondine aus dem Wedding, die als Eisprinzessin der Hinterhöfe ihre Gang befehligt wie einst Marlene als SCHARLACHROTE KAISERIN. Hinter ihrer Schminke und den billigen Fummeln blickt die Disco-Queen so gelangweilt in die Welt, daß ihre Mutter längst resigniert hat und selbst die Jungs den Schwanz einziehen. So kalt ist sie, daß ein Eis auf ihr nicht schmelzen würde, und als sie ohne Führerschein einen Mann anfährt und zu Sozialdienst in einer Behinderten-WG verurteilt wird, verdreht sie nur die Augen und studiert gelangweilt ihre langen Fingernägel. Franziska Jünger ist in dieser Rolle so lebensecht, daß am Ende ein einziges Lächeln schon zum Ereignis wird. Vor allem vermeidet Sylke Enders bei der Begegnung dieser Außerirdischen mit den Behinderten jede Sentimentalität, schlägt daraus einen beißenden Witz und läßt ihre Hauptdarstellerin keine Sekunde aus der Rolle fallen – so daß sich der ganze Film irgendwann nur noch um die Frage dreht, ob irgend etwas diese Maske der Langeweile je sprengen kann. Im Respekt für diese Figur spiegelt sich auch eine Genauigkeit des Blicks, die es nicht nötig hat, den Wedding als soziale Problemzone durch Elendstableaus zu veröden, sondern eher Sympathie für den Witz und die Überlebensstrategien der Kids dort weckt. So gesehen, ist der Film die deutsche Antwort auf NATÜRLICH BLOND!: Wir können auch billig.

Gerade was die Elendsvermutung bestimmter Milieus angeht, ist Barbara Alberts BÖSE ZELLEN, Österreichs Einreichung für den Auslands-Oscar, der totale Gegenentwurf. Was als Studie über Schicksal und Zufall beginnt, verliert sich in einer Beschwörung von Mittelmäßigkeit und Selbsthaß, die inzwischen fast ein Markenzeichen des österreichischen Kinos geworden ist. Die Träume der kleinen Leute sind schablonenhaft, ihr kleines Glück finden sie in Einkaufszentren und Schnellrestaurants, und selbst ihr Sex ist trostlos. In diesem Film ist jeder zu kurz gekommen, und gerade im Vergleich mit KROKO sieht man, daß Alberts filmische Methode eher einer Bloßstellung gleichkommt, daß ihre lüsterne Neugier die Figuren auf Wesen in einem Terrarium reduziert. Erlösung finden sie eigentlich nur, wenn sie hinterm Steuer auf dem Weg zur Disco laut Musik hören. Als Plädoyer für das Glücksversprechen der Popmusik funktioniert BÖSE ZELLEN wirklich wunderbar.

Die Österreicher legen Wert darauf, daß ihr Kino eine eigene Identität hat. Im deutschen Kino sind die Grenzziehungen schwieriger. Bei SCHUSSANGST etwa, der in San Sebastián als erster deutscher Film den Hauptpreis gewann und eine pfiffige Liebesgeschichte leider einem unnötigen Thrillerschluß opfert: Die Romanvorlage stammt vom „Spiegel“-Redakteur Dirk Kurbjuweit, die Geschichte spielt in Halle, die Schauspieler sind Deutsche, die Produzenten auch, Regie führte der Georgier Dito Tsintsadze – ein deutscher Film? Womöglich ist die Frage falsch gestellt, solange Heinz Badewitz in Hof die Illusion nährt, die einzige Heimat der Filmfans sei ohnehin das Kino.

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