31. Oktober 2000 | Süddeutsche Zeitung | Bericht, Weitere Festivals | Hof 2000

Viel heiße Luft

Der deutsche 
Film strapaziert die Nerven

Eigentlich fährt man nach Hof, um deutsche Filme anzusehen. Es läuft dort zwar auch anderes, mehr oder minder anspruchsvolles Kino aus aller Welt, das zumeist schon auf anderen Festivals zu sehen war und demnächst bei uns ins Kino kommt. Und stets muss man der Verlockung widerstehen und deutsche Filme ansehen. Das ist manchmal ganz erfrischend, weil vieles dabei ist, was nie den Weg in die Kinos findet und also nicht immer den Gesetzen der Verkäuflichkeit gehorcht – manchmal kann das aber auch so ermüdend sein, dass man sich dieser Überdosis deutscher Filme einfach verweigert und lieber noch ein zweites Mal in Ang Lees Schwertkämpfer-Epos „Hidden Tiger, Crouching Dragon” geht, weil das ein Film ist, in dem man Fliegen lernen kann. Und weil das schön war, sieht man sich gleich noch ein paar Filme von Amos Kollek an, dem die Retrospektive gewidmet ist und der mit seiner Hauptdarstellerin Anna Thompson immer dorthin geht, wo es weh tut. Gerade das kann man vom deutschen Film nur selten behaupten. Trotzdem geht man mit schlechtem Gewissen in die anderen Filme, und fühlt sich in dieser Heimat des deutschen Films so, als ob man an verbotenen Früchten nascht. Und wenn schon – darum geht es im Kino schließlich.

Über Christian Petzolds Terroristen-Drama „Die innere Sicherheit” wurde aus Venedig schon berichtet, sonst könnte man sagen, dass dies allein schon ein Lichtblick gewesen wäre, wie es ihn in Hof auch nicht alle Jahre gibt. Detlev Bucks „Liebesluder” läuft am Donnerstag in unseren Kinos an, deswegen muss man nicht vertiefen, dass dem Regisseur nach einer Zeit der Ratlosigkeit hiermit ein überraschend pfiffiger Blick auf die deutsche Provinz gelungen ist, eine Art Simenon, der die Dinge nicht ganz so auf die leichte Schulter nimmt, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Vor allem zeichnet sich sein Abstecher ins Sauerland durch ein echtes Interesse an den Schauplätzen aus, an den architektonischen Mustern zwischen Rollfeld-Freiheit und Fachwerk-Irrsinn. Als Buck „Liebesluder” vorstellte, schien er bemerkenswert unsicher, was für ein Film ihm da gelungen ist – aber das scheint jedenfalls eine ganz produktive Haltung zu sein.

Es bleiben also, wenn man jede Menge hübsche und weniger hübsche Belanglosigkeiten weglässt, zwei Filme aus Hof im Gedächtnis, die so unterschiedlich sind, wie sie nur sein können, und sich doch näher sind, als ihnen lieb sein kann. Der eine ist „Alaska. de” von Esther Gronenborn, ein Film über eine Clique in einer Plattenbausiedlung, ein Milieu, in das sich der deutsche Film nicht eben häufig wagt. Man merkt jedem Bild wie schon dem Titel an, dass „Alaska. de” so etwas sein will wie „La haine” von Mathieu Kassowitz, eine stilisierte Studie über Gewalt und Kälte und Hoffnung und Gegenwart. Was vor allem zählt, ist jedoch die Attitüde. Die Kamera zerlegt die Geschichte in einen Videoclip, zelebriert einzelne Momente, huscht über andere hinweg, bis einem Hören und Sehen vergeht. Die Geschichte nimmt dabei absurde Wendungen, in denen die Gefühle der Akteure ignoriert werden – und am Ende, wenn alles, wirklich alles schief gelaufen ist, muss das junge Paar einen imaginären Heißluftballon besteigen. Das hat keinerlei Bezug zur Handlung, aber es sieht verdammt schick aus. Und das scheint am Ende das Einzige zu sein, worum es geht.

Philip Gröning arbeitet sozusagen am anderen Ende des Spektrums, jenseits aller Moden, jahrelang mit dem einen Projekt „L’amour, l’argent, l’amour” beschäftigt. In Locarno hat seine Hauptdarstellerin Sabine Timoteo immerhin schon einen Darstellerpreis gewonnen, für die eigenartige Gratwanderung zwischen Naivität und Selbstentblößung wahrscheinlich. Der Film dauert 134 Minuten und erfordert auch eine Menge Geduld. Ein Pärchen bricht von Berlin auf in die Provinz, sie arbeitet als Nutte, er versucht sich als Hobby-Zuhälter – aus Liebe, versteht sich. Auch hier muss man die abstrakten Vorgaben akzeptieren, wenn man mit dem Film warm werden will. Gröning unternimmt jedoch alles, um solche Gefühle nach Möglichkeit nicht zuzulassen: die mitunter geradezu verdrießliche Weltferne der beiden; die stete enervierende Präsenz eines Hundes, der quasi die dritte Hauptfigur ist; die durch einen Gipsarm dauernd präsente Versehrtheit dieser Liebe – durch all diese Manöver von Verstörung und Verweigerung muss man hindurch, um zu Bildern von kristalliner Schönheit zu gelangen, wenn über Berlin das Silvesterfeuerwerk losgeht oder am Meer ein Auto in Flammen aufgeht. Aber das sind Dinge, die im Kopf bleiben – und die gibt es im Kino nicht umsonst. Da genügt es eben nicht, einen Heißluftballon steigen zu lassen.

Zwei Filme unter vielen – kein Befund, eher der verstreute Eindruck, dass es immer noch besser ist, dem Publikum zu viel zuzumuten als zu wenig – was eher die Regel ist. Die Art und Weise, wie häufig Problemchen zu Problemen hochgezüchtet werden, zeugt weiterhin von einer bemerkenswerten Konfliktscheu im deutschen Kino – als handle es sich um einen Fall von Schattenboxerei. Früher hieß es immer, daran seien die Fernsehredakteure schuld, die den Filmemachern den Schneid abkauften. Mittlerweile weiß ohnehin jeder, dass ohne TV überhaupt nichts läuft.

Aber nichts von alledem ändert etwas daran, dass Hof immer noch das netteste Festival von allen ist – deutscher Film hin oder her.

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