08. Dezember 2003 | Frankfurter Allgemeine Zeitung | Bericht, Weitere Filmpreise | Europäischer Filmpreis 2003

Unschlagbar

GOOD BYE, LENIN! dominiert den Europäischen Filmpreis

Allmählich entbehrt das Gerede von der Krise des deutschen Films der Grundlage. Mit dem sechsfachen Triumph von GOOD BYE, LENIN! beim europäischen Filmpreis neigt sich ein international ungewöhnlich erfolgreiches Jahr dem Ende zu. Bei der Berlinale wurde Wolfgang Beckers Film bereits mit dem Blauen Engel ausgezeichnet, dann gewann Caroline Links NIRGENDWO IN AFRIKA einen Oscar, und in Venedig bekam Katja Riemann den Preis als beste Schauspielerin. Nur ein von unbeugsamen Galliern bevölkertes Dorf leistet hartnäckig Widerstand – Cannes, wo die Deutschen Jahr für Jahr an den Toren zum Wettbewerb abgewiesen werden.

Der Europäische Filmpreis wurde Samstag abend in Treptow verliehen. Selbst als Gastgeber waren die Deutschen an diesem Abend nicht zu schlagen. Nach Jahren der Langatmigkeit hat der künstlerische Leiter Wim Wenders diesmal die Barriere zwischen Bühne und Publikum aufgehoben und alle zusammen an Tische gesetzt. Es durfte getrunken und geraucht werden, während Heino Ferch souverän durch die Veranstaltung führte. So kam ein Gefühl der Zusammengehörigkeit auf und eine schöne Feierlichkeit. Als Jeanne Moreau auftrat, erhoben sich alle zum Applaus, und noch zwei weitere Male für den Kameramann Carlo di Palma, der für Woody Allen und Antonioni gearbeitet hat, und für Claude Chabrol, der gerührt eine Liebeserklärung von Isabelle Huppert entgegennahm. Solche Augenblicke sind es, in denen all die Worte vom geeinten Europa eine Form annehmen und eine Vorstellung greifbar wird davon, was uns eint. Das wollte auch der Venedig-Sieger Andrei Zvyaginsev, der für DIE RÜCKKEHR den Fassbinder-Preis für die europäische Entdeckung des Jahres entgegennahm, ausdrücken, als er von dem Taxifahrer erzählte, der ihn fragte, ob Rußland in Europa liege. Er habe keine rechte Antwort gewußt – bis er nun auf der Bühne stand. Es war ein ungewöhnlich launiger Abend, den Chabrol mit der Bemerkung krönte, der heiße Sommer sei für alte Leute ein Schrecken gewesen, aber für den Beaujolais ein Segen. In dieser kulinarischen Differenz liegt die Stärke Europa gegenüber Hollywood.

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