18. Mai 1998 | Süddeutsche Zeitung | Bericht, Cannes | Cannes 1998 (4)

51. Filmfestspiele von Cannes

Godzilla und die Liebe der Franzosen

Eine Sache der Größe – neue Filme von Laetitia Masson, Vincent Ravalec und Claude Miller

Damit man gleich weiß, worauf es hier ankommt, wurde unterhalb des Daches vom Carlton ein schwarzer Pfeil angebracht, der sich über die ganze Länge der Fassade erstreckt. In der Mitte ein Schild: Godzilla sei länger als dieses Hotel. Überall die zum Abschlußfilm gehörigen Plakate, mit dem ultimativen Wahlspruch des Kinos aus Hollywood: „Size does matter. “ Gerade amerikanische Produzenten werden an den sexuellen Untertönen dieser Losung Gefallen finden.

Auf die Größe kam es auch in Cannes immer an, und deshalb wird Godzilla am Ende alles in Grund und Boden trampeln. Er wird aus dem Meer steigen, auf der Croisette erst das Carlton zerstampfen und dann mit Riesenschritten auf das Festival-Palais zustürmen, um der Jury den Garaus zu machen, deren Entscheidungen ihn ohnehin nicht kratzen. Von dort aus wird die ganze Welt erobert.

Allerorten wird gejammert, daß das deutsche Kino hier wieder mal nicht oder kaum vertreten ist, dabei wird übersehen, daß Godzillas Regisseur ein Deutscher ist, Roland Emmerich. Die Franzosen, darauf kann man wetten, hätten in so einem Fall keinerlei Probleme, diesen Film als einen der ihren zu reklamieren. So werden wir es auch halten und behaupten, in „Godzilla“ setze sich deutscher Geist mit amerikanischem Geld durch. Heute wird Cannes platt gemacht und morgen die ganze Welt.

Die Franzosen sind derweil mit ihrem Image in Europa beschäftigt und haben eine Studie in Auftrag gegeben, in der 3000 Leute aus sechs Ländern um ihre Meinung zum französischen Kino gefragt wurden. Am besten schnitten sie in Hamburg ab, am schlechtesten in Birmingham. Überhaupt ist man in Deutschland voll des Lobes, wohingegen die Spanier französische Filme vorwiegend für kompliziert und langweilig halten. Die meisten der Interviewten waren sich allerdings einig: Der typische französische Film ist eine Liebesgeschichte.

In der Tat wird hier die Liebe selbst mehr als anderswo zur Kunstform erhoben, und die Geschichten, die sich daraus ergeben, sind gar nicht mal komplizierter als in anderen Ländern, sondern werden nur selbstsicherer vorgetragen. Die Liebe braucht keine großartigen Hintergründe, um sich besser abzeichnen zu können, sondern genügt sich selbst. Das klingt leicht und ist doch das Schwerste.

Kaum jemand hat davon in letzter Zeit so eindrucksvoll erzählt wie Laetitia Masson, die nach „Haben (oder nicht)“ nun mit „A vendre“ einen noch bewegenderen Film gedreht hat.

Wieder spielt Sandrine Kiberlain die Hauptrolle, und wieder hat die Ungerührtheit, mit der sie dem Leben im Allgemeinen und den Männern im Besonderen begegnet, etwas eigentümlich Verstörendes. „Sie weiß“, sagt der Mann, der sie heiraten will, und meint damit, daß sie etwas weiß, was nur Männer wissen. Dabei ahnt er nicht, daß genau dieses Wissen dazu führt, daß sie ihn am Tag der Hochzeit versetzt. Der Detektiv, der sich auf ihre Spur macht, versucht auf seiner Reise zu verstehen, was das Mädchen aus der Champagne auf ihrem Weg von Mann zu Mann bewegt hat. Daß sie sich dabei hat bezahlen lassen, ist weniger wichtig, als die Tatsache, daß die Männer dadurch durchschaubarer werden.

Es ist, als ob erst das Geld den Blick auf das wahre Wesen der Liebe freimacht. Der Detektiv kommt dabei zu dem Schluß, daß sie mit den Männern so umgeht, weil sie weiß, daß alle Männer Monster sind. Aber dies wäre nicht der Film einer Frau, wenn er nicht über diese Erkenntnis noch hinausgehen würde. Und tatsächlich rätselt man einen Film lang über das Gesicht von Sandrine Kiberlain, das immer mehr erzählt, als die Geschichte verrät.

Sie lächelt still, wenn eigentlich alles zum Heulen ist, und wirkt verstört, wenn eigentlich Anlaß zur Freude wäre. Unter allen Französinnen ist die Rotblonde mit den tausend Sommersprossen zur Zeit sicher die Faszinierendste – und ihre Regisseurin eine der aufregendsten Filmemacherinnen.

Vincent Ravalec erzählt in „Cantique de la racaille“ eine Geschichte vom Aufstieg und Fall eines Gauners, die in gewisser Weise die Mysterien der Liebe aus männlicher Sicht darzustellen versucht. Aber in Yvan Attals Gesicht spiegelt sich nicht die Hälfte der Geheimnisse wieder, die Sandrine Kiberlains Züge bergen. Wenn „A vendre“ von einer Frau erzählt, die sich verkauft, dann geht es in „Cantique“ um einen Mann, der glaubt, alles kaufen zu können. Aber wo der eine Film von alledem erzählt, was sich diesem Geschäft entzieht, geht es bei dem anderen nur um die simple Gleichung. Die Erkenntnis, daß man nicht alles kaufen kann, ist die weniger interessante Geschichte.

Claude Miller, der mit „Das Auge“ und „Die kleine Diebin“ zu den spannendsten Regisseuren der achtziger Jahre zählte und von dem man bei uns seither nichts mehr gehört hat, ist im Wettbewerb mit „La classe de neige“ vertreten. Sein Klassenausflug in den Schnee erzählt eine verstörende Geschichte von den Ängsten eines Jungen, die nach und nach eine immer konkretere Gestalt annehmen. Je tiefer sich der Junge in seine Wahnvorstellungen verstrickt, desto realer wird die Tragödie, die sich abzeichnet. Die Übergänge zwischen Traum und Wirklichkeit werden von Miller so nachhaltig zersetzt, daß bald auch der Zuschauer über den Abgründen dieser Geschichte von Schwindel ergriffen wird.

Während sich das französische Kino hier mal wieder als eines der spannendsten erweist, hat Jean-Louis Trintignant in Libération ein Interview gegeben, das so illusionslos ist, daß es einem die Tränen in die Augen treibt. Zu seiner Rolle bei Chéreau sagt er, dies sei nun wirklich sein letzter Film gewesen: Er habe die Leidenschaft fürs Kino verloren und habe auch keine Lust mehr, bei Dreharbeiten zu warten, bis die Sonne richtig steht. So traurig das klingt, hat es bei all dem Rummel und Jubel an der Croisette doch auch etwas Erfrischendes. Denn einem Mann wie ihm kann auch Godzilla nichts mehr anhaben: Trintignant ist einfach zu groß für die Monster aus Hollywood.

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