23. Februar 1998 | Süddeutsche Zeitung | Bericht, Berlinale | Berlinale 1998 (1)

48. Filmfestspiele in Berlin

St. Quentins Fluch

Poe auf Tarantinos Spuren

Wenn man den Reaktionen auf Jackie Brown glauben darf, dann haben viele die Schnauze voll von Tarantino-Filmen – am meisten Tarantino selbst. Das ändert aber nichts daran, daß das Echo auf Reservoir Dogs und Pulp Fiction noch überall zu hören ist. Nach wie vor wimmelt es in der Branche von Drehbüchern, in denen Killer über Cheeseburger diskutieren. So viel zum Einfluß von fast food auf die Filmgeschichte.

Was Tarantino heute ist, waren in den Achtzigern auf einer anderen Ebene die Filme von Poe. No Wave hieß die Welle von New Yorker Filmemachern, die, wie Amos Poe, ihr Kino als Fortführung der Nouvelle Vague mit so gut wie keinen Mitteln betrieben. Poes Filme hießen Unmade Beds, The Foreigner oder Subway Riders und waren cool. Dann machte er mit etwas mehr Geld für ein etwas größeres Publikum Alphabet City und war nicht mehr ganz so cool. Das war 1984, und die Achtziger waren damit nicht nur für ihn so gut wie vorbei.

Nach einigen Musikvideos und weniger interessanten Regiearbeiten ist Poe nun mit Frogs for Snakes wieder auf der Höhe der Zeit angelangt, aber sozusagen nur mit der Nachhut. Wie Tarantino streckt er hier der Filmgeschichte die Zunge heraus, und wie er macht Poe das Erzählen selbst zum Gegenstand seiner Geschichte.

Im Grunde basiert seine Story auf jener Binsenweisheit, wonach in Los Angeles alle Chauffeure Drehbuchautoren und alle Kellner arbeitslose Schauspieler seien – in Poes New York ist das nicht anders. Dort wartet das ganze Personal auf eine Rolle, und bis es so weit ist, vertreiben sie sich die Zeit als Gangster, Geldeintreiber, Bodyguards oder Kellnerinnen. Vielleicht ist es aber auch umgekehrt. Zwischen Ernst und Spiel ist hier nicht leicht zu trennen.

Dauernd rezitieren die Helden Szenen aus Filmen wie Wilders Apartment oder Theaterstücken wie Mamets American Buffalo und machen die ganze Welt zur Bühne. Was den Plot antreibt, ist die Tatsache, daß sie alle für eine Rolle in einer echten Aufführung buchstäblich über Leichen gehen würden. Das Blut, das spritzt, ist echt; die Gefühle hingegen sind nur aus Papier. Wobei Poe enorm von Schauspielern wie Barbara Hershey, Robbie Fitz Coltrane, John Leguziamo, Ron Perlman oder Lisa Marie profitiert, die diesen Eiertanz zwischen blutigem Ernst und augenzwinkerndem Spiel beherrschen.

In Reservoir Dogs nahm Tim Roth Schauspielunterricht, um sich für seine Rolle als Spitzel vorzubereiten. Amos Poe dreht die Schraube noch weiter. Hier spielen alle in einem wirklichen Leben, das wie ein Tarantino-Film aussieht, um sich auf ihre Rollen als Schauspieler vorzubereiten.

Am Ende ist dieser Film ein endloses Band, das nicht auf die Wirklichkeit, sondern nur auf sich selbst verweist. Nicht nur Tarantino hat sich darin verfangen – auch Amos Poe ist dem Fluch des St. Quentin verfallen.

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