23. März 1999 | Süddeutsche Zeitung | Bericht, Oscars | Academy Awards 1999 (1)

Das Leben ist nicht immer schön

Die 71. Oscar-Verleihung: Shakespeare schlägt Spielberg – und Roberto Benigni schlägt alle

Alles lief an diesem Abend genauso, wie vorherzusehen war. Zwar hatte mit James Coburn ein krasser Außenseiter den Nebendarsteller-Oscar gewonnen, aber alle anderen Kategorien waren an die Favoriten gegangen. „Shakespeare in Love” hatte bekommen, was einem leichtfüßigen Publikumsliebling zuzutrauen war: erst die Oscars für Produktionsdesign, Kostüme, Musik, dann für die Haupt- und die Nebendarstellerin, für Gwyneth Paltrow und Judi Dench, und schließlich fürs Drehbuch von Marc Norman und Tom Stoppard. „Der Soldat James Ryan” hatte unterdessen die Preise abgeräumt, die in der Regel den großen Epen und sicheren Siegern vorbehalten sind: Kamera, Schnitt, Ton, Toneffektschnitt – und schließlich erwartungsgemäß auch für die beste Regie. Steven Spielberg sah wie der strahlende Sieger dieser 71. Oscar-Verleihung aus. Der Rest war Formsache. Was man schon daran sehen konnte, daß die Academy Harrison Ford, Spielbergs alten Kumpel aus „Indiana-Jones”-Tagen, damit betraut hatte, den Hauptpreis des Abends, den Oscar für den besten Film, zu überreichen. Solcherart choreographierte Zufälle liebt man in Hollywood: Der Held von Spielbergs Action-Phantasien ehrt den Filmemacher, der den Helden des wirklichen Lebens ein Denkmal gesetzt hat.

Doch dann kam alles anders. Harrison Ford öffnete den Umschlag, zögerte, als könnte er nicht glauben, was er da las, und sagte: „Shakespeare in Love”. So einen überraschenden Ausgang hatte die Oscar-Nacht zuletzt vor zehn Jahren genommen, als „Driving Miss Daisy” gewann, obwohl der Regisseur nicht einmal nominiert gewesen war. Plötzlich war also der große Sieger des Abends nicht das große patriotische Mahnmal, sondern die romantische Komödie, die in Hollywood die Herzen vor allem dadurch erobert hat, daß sie geschickt auf den Parallelen zwischen Shakespeares Theaterwelt und dem amerikanischen Filmgeschäft herumreitet. Nicht daß „Shakespeare” keine Chancen gehabt oder den Oscar nicht verdient hätte, aber nach den ungeschriebenen Gesetzen der Oscars ist der Sieg ein echter Hammer.

Dieser Sieg des Schwärmerischen übers Pathetische war umso verblüffender, als die ganze Show noch mehr als sonst Heldentum und Patriotismus zu feiern schien. Astronaut John Glen war gekommen, um einen filmgeschichtlichen Zusammenschnitt von Pioniergeist und Heldentum anzusagen – und für die Vorstellung der beiden Weltkriegsfilme „Ryan” und „Der schmale Grat” hatte man sogar General Colin Powell auf die Bühne gebeten. Und es schien, als habe man den Heldenspuk nicht nur deshalb inszeniert, um das ausgehende Kinojahrhunderts zu feiern oder um dem Sieg von „Private Ryan” den Weg zu bereiten, sondern vor allem, um in der Kontroverse um den Ehren-Oscar-Preisträger Elia Kazan gleich deutlich Stellung zu beziehen. Schließlich hatten Kazans Verteidiger, sofern sie die Politik nicht völlig ausgeblendet haben, gerne betont, daß Kazan vor McCarthys Ausschuß die Kollegen aus gemeinsamen kommunistischen Tagen schließlich für eine gute, nämlich die patriotische Sache verraten habe. Es sei seine vaterländische Pflicht gewesen, Namen zu nennen, und also sei er ein Held. Und die Inszenierung des Abends schien ganz darauf abgestellt, von den Protesten im Vorfeld und den Demonstranten vor dem Dorothy-Chandler-Pavillon abzulenken.

Aber auch da kam alles anders. Erst wich der schwarze Komiker Chris Rock vom vorgegebenen Text ab und bezeichnete Kazan als rat, als Verräter also – das quittierten die Gäste noch mit eisigem Schweigen, so daß man annehmen durfte, das Publikum sei entschlossen, sich nicht den Abend verderben zu lassen. Doch als dann Kazan von Martin Scorsese und Robert De Niro auf die Bühne gebeten wurde, blieb nicht nur die Hälfte des Publikums demonstrativ sitzen, sondern die Regie zeigte den stummen Protest auch noch im Bild. Dabei hätte die Kamera leicht auf den stehenden Ovationen von Karl Malden, Warren Beatty oder Meryl Streep verharren können statt zu zeigen, wie Nick Nolte, Ed Harris und seine Frau Amy Madigan oder Jim Carrey mit verschränkten Armen und grimmigen Gesichtern ihr Mißfallen kund taten. Manchmal ist Hollywood doch für Überraschungen gut. Elia Kazan selbst gab sich uneinsichtig wie eh und je, dankte der Academy, seinen Paten Marty und Bobby und ging wieder mit seinem Ehren-Oscar, an dem er weniger Freude haben dürfte als irgendein Sieger vor ihm.

Mehr Freude als irgendwer sonst zeigte an diesem Abend Roberto Benigni, der als Regisseur des besten ausländischen Films und als Hauptdarsteller ausgezeichnet wurde. Die Rolle des Siegers interpretierte er so überschwenglich, wie es von ihm zu erwarten war, und wie groß die Sympathien für den italienischen Clown und seinen Film „Das Leben ist schön” waren, sah man daran, daß er stehende Ovationen erhielt. Als Sophia Loren – seit sie 1961 einen Schauspieler-Oscar für eine Rolle in einem nicht-englischsprachigen Film gewann, hat das niemand mehr geschafft – seinen Namen aus dem Umschlag zog, stieg Benigni über seinen Vordermann Billy Bob Thornton auf die Rückenlehne des Stuhls von Steven Spielberg und ließ sich feiern. Wie ein Kobold sprang er auf die Bühne, umarmte die Loren und drohte ihr und dem Rest der Welt in seinem unvergleichlichen geradebrechten Englisch an, er wolle vor lauter Freude mit allen Liebe machen. Dazu kam es dann gottlob nicht – es war auch so schon genug Liebe im Saal, weil alle in love mit Shakespeare und Benigni waren.
Whoopi Goldberg hatte alle Mühe, den Mann auf seinem Platz zu halten und führte jovial und gewitzt durch den Abend. Aber das konnte nicht darüber hinwegtäuschen, daß Elia Kazan die Feier gründlich verdorben hatte.
MICHAEL ALTHEN

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