20. Februar 2002 | Frankfurter Allgemeine Zeitung | Filmkritiken, Rezension | Le Pacte Des Loups

Gefräßiger Blick

Aus dem Reich der Unwesen: DER PAKT DER WÖLFE von Christophe Gans im Kino

Dieser Film will alles zugleich sein: Historiengemälde und Actionfilm, Krimi und Abenteuer, Western und Kostümfilm, Serial Killer und Martial Arts, also sozusagen ANGÉLIQUE, MAD MAX, TIGER & DRAGON und HANNIBAL in einem. Das ist natürlich mehr, als ein Film tragen kann, aber dieses Allerlei von Vorbildern und Einflüssen steht ihm gut zu Gesicht, weil man merkt, mit welcher Lust sich der französische Regisseur Christophe Gans ins Getümmel stürzt und welchen Spaß er an diesem Mischmasch hat. Über dreißig Millionen Euro hatte er zur Verfügung, und wo andere von der Last eines solchen Unternehmens erdrückt würden, da kann man sich seinem Elan nur schwer entziehen. Kann schon sein, daß weniger oft mehr ist – in diesem Fall ist zuviel gerade genug.

DER PAKT DER WÖLFE spielt am Vorabend der Revolution, und der Erzähler blickt zurück ins Jahr 1764, als eine Bestie die Region von Gévaudan unsicher machte, weil sie die schönen Töchter der Provinz riß, ohne daß jemand das Wesen je zu Gesicht bekommen hätte. Der König jedenfalls schickte den Chevalier de Fronsac (Samuel Le Bihan), einen begabten jungen Anatom, in die Gegend, um die Sache unter die Lupe zu nehmen und dem Spuk ein Ende zu bereiten. Der nahm seinen Blutsbruder, einen Irokesen namens Mani (Mark Dacascos), ins nebelverhangene Reich des Unwesens mit und hatte mehr mit menschlichen als mit tierischen Widersachern zu kämpfen. Wenn die Geschichte zu Ende erzählt ist, wird der Erzähler vom revolutionären Mob zum Schafott geführt. Es wäre also durchaus denkbar, daß die Bestie nur das Sinnbild absolutistischen Unwesens ist.

Christophe Gans ist klug genug, mehrere Lesarten anzubieten, aber eine drängt sich schon zu Anfang auf, als man sieht, wie ein junges Mädchen auf der Flucht von einer unsichtbaren Kraft gepackt und an einem Felsbrocken zerschmettert wird. Die wahre Bestie in diesem Film ist die Kamera selbst, die immer in Bewegung ist und ihre Opfer umkreist, um dann erbarmungslos zuzustoßen. Es ist also ein gefräßiger Blick, mit dem sich Gans dieser Epoche bemächtigt, weit entfernt von der Gemächlichkeit, welche historische Dekors sonst einzufordern scheinen – als sei die Historie ein Gotteshaus, durch das sich die Kamera nur gemessenen Schrittes bewegen dürfe.

So wie einst Umberto Eco und Jean-Jacques Annaud durch einen Kriminalfall das Mittelalter fiktionalisiert und als Erzählstoff fruchtbar gemacht haben, so bringt auch DER PAKT DER WÖLFE neuen Schwung in eine Epoche, deren Abbildung sonst gerne im höfischen Zeremoniell erstarrt. Der Fall der Bestie von Gévaudan ist im Grunde ein Serienmörderplot, der plötzlich erlaubt, auch die Zeichen der Zeit neu zu deuten und die Aristokratie als Kadaver zu sezieren. Nicht, daß der Regisseur daran übermäßig interessiert wäre, aber die Konstruktion ist doch enorm tragfähig, weil die Suche nach der Bestie mit unseren Fragen an die Vergangenheit zur Deckung gebracht wird. Und in der Lösung des Falls steckt immer auch die Hoffnung, es könne dadurch auch etwas Licht ins Dunkel der Historie gebracht werden.

Zwischen Aufklärung und Obskurantismus ist Gans aber vor allem daran interessiert, die Gegenwart in der Vergangenheit zu spiegeln und der Sache ein modernes Gewand zu verleihen. So macht er aus dem achtzehnten Jahrhundert geradezu ein New Age, in dem der edle Wilde Dinge weiß, von denen sich damals keiner träumen ließ. Geschichte ist weniger eine Frage der Zeit als eine Sache des Raums – als würden sich im Heute dauernd Löcher auftun, durch die man in frühere Zeiten blicken kann. Dazu gehört dann auch, daß Gans für die exzellent choreographierten Kampfszenen immer wieder Zeitlupe und Stopptricks verwendet, als wolle er die Zeit selbst zum Stillstand bringen. Im PAKT DER WÖLFE wird die Geschichte zur Spieluhr. Das ist fürs Kino ein höchst vergnügliches Konzept.

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